Wer Sorgen hat, hat auch Likör“, heißt es in der Geschichte von der frommen Helene, die Wilhelm Busch 1872 gezeichnet und gedichtet hat. Doch sein jüngerer und ganz anders...
FRANKFURT. Wer Sorgen hat, hat auch Likör“, heißt es in der Geschichte von der frommen Helene, die Wilhelm Busch 1872 gezeichnet und gedichtet hat. Doch sein jüngerer und ganz anders arbeitender Kollege Max Beckmann (1884-1950) brauchte knapp 50 Jahre später schon Schampus, um die Sorgen zu ertränken, wie der Galerist Israel Ber Neumann schilderte.
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„Wir gingen entweder in ein sehr billiges Bistro, wo raue Gestalten herumstanden und auf den Boden spuckten, oder in den Frankfurter Hof, das beste Hotel in der Stadt. Egal ob im Bistro oder im Frankfurter Hof, seine Bestellung war immer ‚Sekt, Champagner’. Er trank die ganze Flasche und bot mir keinen Tropfen an. Er brauchte ihn, um sich von den Strapazen unserer Sitzung im Atelier zu erholen.“ Diese Episode zitiert eingangs Robert Mondani, der die neue Onlinetour des Frankfurter Städels über Max Beckmann leitet, Beckmann war einer der bedeutendsten Künstler der Moderne, der einen eigenen Stil zwischen Expessionismus und Neuer Sachlichkeit erfand. Schon seit zwei Monaten ist eine Schau über seine wohl wichtigste künstlerische Zeit, die Jahre in Frankfurt zwischen 1915 und 1933, im Städel aufgebaut.
Doch besichtigen kann sie niemand. Deshalb bietet das Städel nun einstündige Onlineführungen an, die schon im Dezember mit anderen Themen viel Zulauf erhielten. Die 25 Teilnehmer der Zoom-Videokonferenz dürfen zwar auch virtuell nicht in die Schau, aber Mondanis gute Kenntnisse machen das wett.
Im Zentrum des imaginären Rundganges steht das erst jüngst vom Städel erworbene „Selbstbildnis mit Sektglas“ (1919), das schon früh als eines der wichtigsten Beckmann-Werke galt, da es sehr hellsichtig die Widersprüchlichkeit der bald folgenden, heute berühmt-berüchtigten Goldenen Zwanziger Jahre einfing und das Elend ebenso zeigte wie die Vergnügungssucht. Vorn im Bild ist denn auch der ausgezehrte Künstler zu sehen, in der einen Hand ein Sektglas, in der anderen Hand eine Zigarre.
Der Künstler tritt als Lebemann auf, wirkt aber bleich im Vergleich zu dem feisten Kriegsgewinnler im Hintergrund. Max Beckmann hatte als Sanitätshelfer viel Schreckliches gesehen und meinte 1915: „Für mich ist der Krieg ein Wunder, wenn auch ein ziemlich unbequemes. Meine Kunst kriegt hier zu fressen.“ Das sieht man den Zeichnungen an, die Konturen der Motive werden härter, die Räume klaustrophobisch eng.
Aber 1915 erlitt Beckmann einen Nervenzusammenbruch, wurde aus dem Dienst entlassen und fand Unterschlupf bei seinem Frankfurter Freund Ugi Battenberg, den er während des gemeinsamen Kunststudiums in Weimar kennengelernt hatte. Beckmann blieb 18 Jahre in Frankfurt, bis zu seiner Entlassung als Lehrer der Städelschule durch die Nazis 1933. Im Städel wurde seine Kunst schon seit 1918 gesammelt. Heute besitzt es, trotz vieler Verluste unter den Nazis, elf Gemälde, zwei Skulpturen und mehrere hundert Druckgrafiken – eine der weltweit umfassendsten Beckmann-Sammlungen.
Zu den später erworbenen Werken zählt das Gemälde der Frankfurter Synagoge von 1919 mit stürzenden Vertikalen und Horizontalen, die alle Gebäude ins Schwanken bringen. Ganz klein ist Beckmann mit dem Ehepaar Battenberg zu sehen, wie sie nach einer feuchtfröhlichen Faschingsfeier nach Hause wanken – das Bild ist also kein Menetekel des Holocausts.
In Frankfurt entstanden auch mehr als 200 Radierungen und Lithografien, fast zwei Drittel des gesamten druckgrafischen Werkes von Beckmann. Darunter wieder etliche Selbstbildnisse, von denen einige bei der Onlineführung besprochen wurden. So rundet sich das Bild von einem ernsten Mann, der aber durchaus das Leben zu genießen wusste. Nur schade, dass keine Zeit mehr blieb für den zentralen „Höllen“-Zyklus, auch wenn sich vieles davon schon im „Selbstbildnis mit Sektglas“ ankündigt.