Was wird ausgeklammert im deutschen Kolonialismus?

Eine Haube der Hereros aus Namibia: Die Schau will andere Sichtweisen auf den Kolonialismus zeigen. Foto: Wolfgang  Günzel

Rassismus und Widerstand: Frankfurts Weltkulturen-Museum blickt aus ungewöhnlichen Perspektiven auf die Geschichte zurück.

Anzeige

FRANKFURT. Die neun Männer sind unbekannte Helden, genauer: anti-koloniale Widerstandskämpfer, die sich von 1834 an in der britischen Kapkolonie gegen europäische Siedler wehrten. Doch die Fotos zeigen die Kämpfer nur als anonyme Typen, als Stellvertreter für viele ähnlich aussehende Schwarze. Denn das 1874 für die Ethnologische Gesellschaft in Berlin erstellte Album mit 600 Porträts ist eine Bestandsaufnahme von Menschen fast aller Erdteile, bis auf die nur sehr lückenhaft vertretenen Europäer. Das Album scheint also ein rassistisches Werk unter dem Deckmantel der Forschung zu sein.

So etwas traut man sich heute kaum noch auszustellen. Doch Stephanie Endter und Julia Albrecht haben einige Aufnahmen verhüllt, vor allem die für Gefangene typischen Profilfotos. Denn Endter und Albrecht, für Bildung und Vermittlung im Frankfurter Weltkulturen-Museum zuständig, wollen nicht den Opfer-Blick auf den Kolonialismus wiederholen. Sie zeigen lieber „empowernde und widerständige Momente“ als Beispiele für andere Sichtweisen auf den Kolonialismus. Abgesehen davon ist der Widerstand ein bis heute ungeschriebenes Kapitel.

So wirft die Schau viele Fragen auf, die nicht immer eindeutig beantwortet werden können. Welches Wissen wurde früher und wird heute im Museum vermittelt, das 1904 gegründet wurde, mitten im deutschen Kolonialismus? Von wem stammt dieses Wissen? Und was wird ausgeklammert? Folglich ermöglicht die Schau andere Perspektiven unter dem Titel „Hidden in plain sight. Vom Unsichtbarmachen und Sichtbarwerden“.

Das Frankfurter Haus muss ohnehin oft improvisieren, da im Zweiten Weltkrieg das Dokumentenarchiv verbrannte, bis auf das Verzeichnis der Erwerbungen, das einige Anhaltspunkte liefert. Damit ist das Museum auf eigene Forschungen oder auf Auskünfte von anderen Häusern angewiesen. Aber es kann die Objekte neutraler betrachten und neue Blickwinkel öffnen. So beginnt die jetzige Schau mit einer Reihe banaler Objekte, vom Radiergummi bis zur Zahnseide. Die kann man nach Funktionen ordnen, um sie leichter zu finden. Oder man kann die Ordnung ändern, um den Blick bewusst auf sie zu lenken.

Anzeige

Das versucht nun das Museum, „denn eine Geschichte kann aus vielen verschiedenen Perspektiven erzählt werden“, meinen unisono die beiden Kuratorinnen. Wertvolle Tipps zu Objekten gaben die Kustoden, etwa zu den figürlich bemalten Bambusröhren der indonesischen Insel Seram. Diese Szenen zeigen scheinbar friedliche Begegnungen zwischen Bewohnern und Europäern. Die Funktion der Objekte ist unklar, sie wurden 1938 bei einer Expedition erworben.

Schmerzvoll: Künstlerin lässt sich nach Tradition tätowieren

Zu sehen sind aber nicht nur Werke aus dem Museum, da auch heutige Künstler eingeladen wurden: Die in Darmstadt lebende Künstlerin FrauHerr Meko legt den Finger in die Wunde der Wissensvermittlung. Sie studierte an der Mainzer Kunstakademie und richtete als Abschlussarbeit eine „SichtBar“ ein mit Büchern über Schwarze, Indigene und andere farbige Menschen; diese Bücher waren weder in der Kunstakademie noch in der Gutenberg-Universität zu finden. Die „SichtBar“ wurde in Mainz angekauft, aber FrauHerr Meko sammelt weiter und zeigt in Frankfurt eine neue Variante.

Wie man verschollen geglaubtes Wissen wieder ausgraben kann, hat die neuseeländische Künstlerin Ema Tavola auf sehr schmerzvolle Art erfahren. Sie stammt von den Fidschi-Inseln und ließ sich nun nach alter Tradition am ganzen Körper tätowieren, aber mit den früheren Werkzeugen. Freilich sind diese Körperbemalungen heute fast vergessen, da die Missionare einst das Nacktsein verboten hatten und in der Folge die Tattoos verdrängt wurden. Damit begehrt Tavola gegen die Kolonialisierung auf: „Dekolonisierung beginnt bei mir. Die Tätowierung dieser Zeichen kann für uns eine Heilungsmethode sein für die Scham, die sich als Erbe der Kolonisierung tief in unseren Körpern festgesetzt hat.“