Eindrucksvolle Antagonistin und unheimliche Ruhe

aus Tatort & Polizeiruf 110

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Bukow (Charly Hübner) und König (Anneke Kim Sarnau, r.) jagen Sabine (Luise Heyer). Foto: NDR/Christine Schroeder
© NDR/Christine Schroeder

Sabine (Luise Heyer) hat aufgegeben. Die Mutter eines elfjährigen Sohnes lebt seit Jahren am Existenzminimum, kann sich und ihr Kind kaum durchbringen, ist eine sogenannte...

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. Als sie erfährt, dass sie ihren Job in der Arunia-Werft verlieren wird, ist das der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Die 35-Jährige will sich das Leben nehmen, sieht keinen Sinn mehr darin, weiterzukämpfen. Doch dann kommt es anders – und ihr passiert ein Mord.

So beginnt der neue "Polizeiruf 110" aus Rostock, der die Antagonistin zum Titel gemacht hat. Der Film, der sich innerhalb der ersten Minuten als Sozial- und Gesellschaftsstudie qualifiziert, heißt "Sabine", und wir folgen Sabine auf dem dunklen Weg, den sie einschlägt und den sie nicht mehr verlassen kann.

"Sabine" hebt sich aus gleich mehreren Gründen von vielen anderen Sonntagabendkrimis ab: - Eine Leiche? Die bekommen wir erst nach gut einer halben Stunde. Denn wir müssen Sabine erst kennenlernen, verstehen, wer sie warum geworden ist, wie sie tickt und was das Leben mit ihr gemacht hat – und wieso sie diese fatale erste Entscheidung trifft. - Der Zuschauer hat einen Wissensvorsprung gegenüber den Kommissaren Alexander "Sascha" Bukow (Charly Hübner) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau), die lange weder die Identität des Täters noch den Grund für die Vergeltungsschläge kennen. Sie kommen immer einen halben Schritt zu spät und brauchen lange, um herauszufinden, wohin Sabines Spur als nächstes führt. Während das Team mit Bukow, König, Volker Thiesler (Josef Heynert), Anton Pöschel (Andreas Guenther) und Chef Henning Röder (Uwe Preuss) die Täterin jagt, sind wir dieser bei ihrer auch starken emotionalen Wandlung sehr nah. Wo sie am Anfang noch verzweifelt, hoffnungslos und erschüttert wirkt, legt sich im Laufe des Films eine Art bleierne Leichtigkeit über sie. - Die horizontale Geschichte zwischen Bukow und König – wir verließen die beiden Charaktere im letzten Film "Der Tag wird kommen", als sie sich traurig, müde, aber endlich küssend in den Armen lagen – wird stringent, konsequent, mitreißend weitererzählt.

"Sabine" lebt von vielen eindrücklichen Nahaufnahmen der Antagonistin selbst, die von Luise Heyer mit einer niederschmetternden Wucht präsentiert wird. Heyer transportiert Sabines Abgründe so überzeugend, dass man, als ihr der erste Mord passiert, nahezu mitfiebert und es dem Toten ein bisschen gönnt. Heyer ist nach Andreas Schmidt ("Familiensache") vielleicht die überzeugendste Antagonistin, die in Rostock in 23 Filmen agieren durfte. Wenn Autor (Florian Oeller) und Regisseur (Stefan Schaller) eine Figur so überzeugend zum Leben erwecken können, dass der Zuschauer ihre Entscheidung emotional nachvollziehen kann, dann haben beide vieles richtig gemacht. Die Rostocker Tristesse, die wir in zehn Jahren lieben gelernt haben, kommt ebenfalls nicht zu kurz, auch wenn Schaller sehr oft mit warmen Lichteffekten spielt, die den Zuschauer mitunter ein wenig aus dem bekannten Grau reißen. Doch wir sind immer ganz nah dran an Sabines Gesicht, an ihrem Leben, ihrer Seele. Als sie ihre Wut am Ende endlich verbalisieren darf, ist jedes Wort nachvollziehbar, greifbar und spürbar.

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Dass wir die Täterin von Beginn an kennen, die Kommissare aber nicht wissen, wen sie jagen, sorgt für den nötigen Spannungsaufbau über die gesamte Laufzeit. Dass Bukow und König trotzdem genug Bildschirmzeit bekommen, um ihre wie auch immer geartete, neue, veränderte Beziehung zu erforschen, ist ein erfreulicher Nebeneffekt. Nach den vielen konfliktreichen, mit Streit beladenen Filmen der Vergangenheit ist "Sabine" in dieser Hinsicht ein Kontrast, der sich kaum fassen lässt: Schaller inszeniert Bukow und König in einer fast unheimlichen Ruhe und Unaufgeregtheit im Umgang miteinander. So hat man die beiden noch nie miteinander gesehen. Auch da liegen die Stärken in den Nuancen, den Zwischentönen, im Subtilen. Es sind Katrin Königs Bewegungen, ihre Körperhaltung, wie sie atmet, die uns verraten, was sie gerade fühlt. Ähnlich ist es bei Bukow. Das Gewicht liegt nicht auf dem gesprochenen Wort, sondern auf dem nicht gesprochenen, auf Blickkontakten, Berührungen und Gesten. Ob es die Ruhe vor oder nach dem Sturm ist, wird sich vermutlich erst nach "Sabine" zeigen.

Sicher ist: In Rostock gab es noch nie Langeweile. Bis zum nächsten Sturm bleibt "Sabine" ein weiterer Höhepunkt der Rostocker "Polizeiruf"-Reihe. Anschauen lohnt, auch wenn man nachdenklich und auch empört zurückbleibt.

Als Randnotiz: Lina Beckmann (Charly Hübners Ehefrau) ist in einer Nebenrolle als Melly Böwe zu sehen.

Das Erste zeigt den "Polizeiruf 110: Sabine" am Sonntag, 14. März, um 20.20 Uhr.