Oscar Isaac überzeugt als Pokerface in Paul Schraders packendem Schuld-und-Sühne-Drama, das von existenziellen Fragen und Erlösung handelt.
. Der rechtschaffene Schweizer Nationalheld Wilhelm Tell wurde zum Freiheitskämpfer, weil er sich seinem Landesherrn verweigerte und einen Tyrannenmord an ihm beging. William Tillich, die von Oscar Isaac gespielte Hauptfigur in „The Card Counter“ von „Taxi Driver“-Autor Paul Schrader (Regie und Drehbuch), nennt sich aus ähnlichen Gründen William Tell.
Der Ex-Soldat war acht Jahre in einem US-Militärgefängnis eingebuchtet, während sein damaliger Vorgesetzter John Gordo (Willem Dafoe) straffrei geblieben ist. Am Ende wird Tillich ihn umbringen. Allerdings ist der Weg dorthin komplizierter als damals bei den Eidgenossen. Und rechtschaffen ist der Protagonist auch nicht, denn er gehörte zu jenen US-Armee-Angehörigen, die während des Irak-Kriegs in Abu Ghraib Gefangene folterten, demütigten und psychisch zugrunde richteten.
Tillichs autistischer Ader gefällt der Gefängnis-Tagesablauf
Aber Tillich ist sich seiner Schuld bewusst und hat die Strafe für seine Taten abgesessen. Die Zeit der Inhaftierung nutzte er zur Perfektionierung der Kunst des Kartenzählens, um nach seiner Entlassung Casinos abzuzocken. Doch er hat immer noch Albträume und sich eine quasi endlose Kartenspiel-Hölle als Buße auferlegt, indem er wie ein Getriebener quer durch die USA von Casino zu Casino reist, in Motels übernachtet und nie länger als ein paar Tage an einem Ort verweilt. Tillich hat auch eine autistische Ader, denn im Gefängnis fühlte er sich schon mit den standardisierten Tagesabläufen und festen Regeln sehr wohl, trägt stets schicke grau-schwarze Outfits und verwandelt das komplette Interieur seiner Motelzimmer immer höchst aufwendig mit weißen Laken in begehbare Christo-Installationen.
Als er eines Tages zufällig bei einer Security-Messe in einem Casino einen Vortrag seines ehemaligen Ausbilders Gordo besucht, begegnet er dem jungen Mann Cirk (Tye Sheridan). Dessen Vater hatte ebenfalls in Abu Ghraib gedient und sich daraufhin umgebracht. Cirk entschließt sich dazu, Tillich auf seiner Abzocktour zu begleiten. Mit dabei ist die Poker-Agentin La Linda (Tiffany Haddish), die auch eine romantische Beziehung mit dem Kartenspieler eingeht. Cirk schmiedet einen Racheplan, von dem ihn Tillich abbringen will, um etwas Gutes zu tun und so Vergebung zu finden. Doch die Dinge nehmen einen anderen Lauf.
Altmeister Paul Schrader („Light Sleeper“) legt ein packendes Schuld-und-Sühne-Drama vor, das sich um existenzielle Fragen und Erlösung dreht – das Lieblingsthema in fast allen seinen Filmen und Drehbüchern, unter anderem auch bei „Taxi Driver“, „Die letzte Versuchung Christi“ und „Bringing Out the Dead“ von Martin Scorsese. Letzterer ist ausführender Produzent von „The Card Counter“, für den Schrader das Recht auf den „Final Cut“ bekam. Das Ganze ist daher kein klassischer Spielerfilm, sondern eine in bedächtigem Rhythmus erzählte, intensive Charakterstudie in Form einer Kriegstrauma-Bewältigung – also zu einem Großteil auch höchst politisch. Die faszinierende Hauptfigur gibt zwar viele Erklärungen aus dem Off. Doch Isaac spielt sie sehr präzise und zurückhaltend als nicht nur am Kartentisch undurchschaubares Pokerface, das sein Innenleben stets unter Verschluss hält. Doch hinter der Maske des smarten Spielers brodelt es.