TV-Kritik zu „Tatort“: Zwischen Belanglosigkeit und großer Kunst

aus Tatort & Polizeiruf 110

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Brix (Wolfram Koch) geht ein Licht auf.
© HR/U5 Filmproduktion/Daniel Dorn

Ist es Arthouse? Ist es ein Kammerspiel? Ist es hohe Filmkunst? Oder kann es weg?

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Frankfurt. Da kommt ein Frankfurter „Tatort“ endlich mal mit dem Titel „Erbarmen. Zu spät“ daher, und dann ist der Titel irgendwie auch 90 Minuten lang Programm.

Wir begleiten Kommissar Paul Brix (Wolfram Koch) und seine Kollegen bei einer nächtlichen Autofahrt durch die Wetterau. Viele Wagen sind unterwegs, Scheinwerferlicht erleuchtet hier und da den Nachthimmel. Wer gerne auf dem Sofa sitzt und dabei das „große Licht“ anhat, sollte für diesen Film umdenken. Er spielt nahezu komplett in der Nacht. Aber worum geht’s eigentlich?

Anton Schilling (Niels Bormann) sitzt im Wagen bei Brix. Er ist kurz zuvor auf der Wache aufgeschlagen und behauptet, dass der Polizist Simon Laby an diesem Abend sein Leben im Wald gelassen hat und dort vergraben worden ist. Gemeinsam mit Brix und zwei Kollegen suchen sie nun die genaue Stelle. Schilling hat getrunken, jede Menge Angst und keine Ahnung, wo das Verbrechen stattgefunden haben soll. Aber Brix verliert nicht die Geduld – und so fahren die Autos weiter und weiter. Und weiter. Weiter. Und weiter. Was sich so liest, als seien sie die Hälfte der Filmspielzeit im Wagen unterwegs, hat Recht. Nichts passiert. Und doch jede Menge. Die Besetzungen im Wagen wechseln. Mal tritt jemand aus oder ab, mal redet jemand gut zu oder schweigt. Das Spannende daran ist vielleicht der Kopf des Zuschauers, in dem sich allerhand Fragen auftürmen: Gibt es diese Leiche überhaupt? Wieso hat der Schilling so große Angst? Wo ist Janneke?

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Ah, nach 27 Minuten sehen wir zum ersten Mal Brix‘ Kollegin Janneke (Margarita Broich). Irgendwann wird Labys Waldhaus durchsucht, man findet große Mengen Essensvorräte und Waffen, Munition, ein falsches Polizeiauto. Wo sind sie hier nur hineingeraten?

Bastian Günther ist zugleich Autor und Regisseur des Films und verleiht „Erbarmen. Zu spät.“ eine ganz besondere Atmosphäre. Er erzählt über Zweifel, Ängste, Vertrauen und Sorgen. Ab und zu geht einem der Beteiligten ein Licht auf, dann wird es wieder dunkel.

Es ist schwierig, diesen Film in irgendein Genre einzuordnen. Krimi, ja. Thriller, ein bisschen. Arthouse, unbedingt. Drama, auch hiervon eine Prise. Dieser „Tatort“ ist eine wirklich ungeheuerliche Mischung aus Belanglosigkeit und großer Kunst. Eine Mischung, mit der der Hessische Rundfunk mit diesem Team ja schon seit Jahren versucht, den Krimi neu zu erzählen. Das ist hier gelungen. Und auch wieder nicht. Zurück bleiben beim Zuschauer Fragen, Verwunderung, Empörung und das Gefühl, hier ein bisschen veräppelt worden zu sein. Immerhin werden die „Rodgau Monotones“ angespielt! Einschalten lohnt sich. Unbedingt. Diesen Bürotalk am Montagmorgen möchten Sie nicht verpassen!

Das Erste zeigt den „Tatort: Erbarmen. Zu spät.“ am Sonntag, 10. September, um 20.15 Uhr.