Ein passenderes Thema hätte der OKB für seine Jahresabschlussausstellung in Kultur im Zentrum (KiZ) kaum finden können als „order / disorder“.
GIESSEN. GIESSEN. Ein passenderes Thema hätte der Oberhessische Künstlerbund (OKB) für seine Jahresabschlussausstellung im Kultur im Zentrum (KiZ) kaum finden können als „order / disorder“. Die Übersichtsschau mit 32 Teilnehmern bietet erwartungsgemäß ein breites Spektrum von inhaltlicher und handwerklicher Kompetenz. Und ein unter Kuratorin und Kunsthistorikerin Dr. Carola Schneider eindrucksvoll inszeniertes sinnliches und optisches Erlebnis. Für die wegen der Umstände geschlossene Schau ist ein sehenswerter, professionell gemachter Videorundgang verfügbar.
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Geplant war die Öffnung bis Ende Januar 2021. „Im Vertrauen darauf, dass die Ankündigungen für ein Ende des Lockdowns im Dezember zutreffen würden, haben wir im November im KiZ aufgebaut. Unter der Leitung von Carola Schneider ist es uns gelungen, die Arbeiten von 30 Künstlern des OKB sowie den Gästen Yutta Bernhardt und Reiner Packeiser zu einer eindrucksvollen Ausstellung zusammenzustellen“, schreibt der OKB. Vorsitzender Dieter Hoffmeister erklärte: „Wir haben mit Dietrich Skrock ein Mitglied, der Profifotograf ist und auch viel mit Video arbeitet. Mit ihm haben wir vereinbart, den Auftrag für einen Videorundgang zu vergeben.“ So soll ein möglichst breiter Zugang ermöglicht werden.
Das Thema sei schon vor Ausbruch der Pandemie gefunden worden, sagte Schneider. „Angesichts der Komplexität unseres Daseins streben wir nach Klarheit und Übersicht – und sind dabei ständig dem Risiko des Scheiterns ausgesetzt. Albert Einstein brachte diese Ambivalenz auf den Punkt: „Nichts kann existieren ohne Ordnung. Nichts kann entstehen ohne Chaos.“ Schneider: „Politische Konflikte, gesellschaftliche Umbrüche oder plötzlich hereinbrechende Krisen sind große Herausforderungen, die Verunsicherung und Ängste auslösen und oft schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Künstler können wie Seismografen Erschütterungen aufzeigen. Rund ein Drittel der Exponate beziehen sich konkret auf aktuelles Zeitgeschehen.“
Die hervorragende Inszenierung lässt gelegentlich Arbeiten miteinander kommunizieren, etwa Ria Gerths Video „words_of_distance“, in dem sich menschenleere Straßenzüge, Häuser- und Fensterfronten zu geometrischen Mustern formen und Begriffe aus dem Fachvokabular der Pandemie zu „Kauderwelsch verschwimmen“ (Schneider) mit Yutta Bernhardts in geradezu vertrauter Nachbarschaft stehenden Dreierserie „Fade to grey“ daneben. Die übersieht man zunächst leicht, denn schon beim Eintritt ins KiZ empfängt den Betrachter Sylvia Roedlers Skulptur „Geschichte“ aus Holz und weiteren Materialien . Daneben steht das „Habitat“ von Paul Hess. Die Seiten der Kiste sind mit Motiven bedeckt, die einerseits symmetrisch und geometrisch anmuten, zum andern aber das Grün des Baums widerspiegeln, und schließlich übergießt eine Reihe von kantengenau angebrachten LEDs die Szene mit einem durchgehend wechselnden Lichthauch, der von künstlich Blau bis zu süßlich Rot changiert; dabei gleitet auch mal ein ganz passables Grün durch.
Dann aber vereinnahmt Katja Ebert-Krüdeners „Blattfibonacci mit Laubbeilage“ die Aufmerksamkeit, eine große Spirale aus Blättern an der Wand, die nach einem erkennbaren mathematischen Prinzip angeordnet sind. Geht man zu nahe heran, verwirbelt einem die Arbeit resolut die Koordination der Wahrnehmung und es kann einem schwindelig werden. Dabei nimmt die Installation auch einen beträchtlichen Teil des vor ihr liegenden Fußbodens ein.
Frei im Raum steht Henrik Wieneckes „Zelle“, eine Arbeit aus Stahl, zwei parallel platzierte Platten, diesmal mit je einer emaillierten Fläche. Wienecke verbindet auch hier die massive Solidität und Masse des Stahls mit einer Gestaltung, die zu einer davon unbelasteten Leichtigkeit findet und sehr überzeugend zur Auseinandersetzung auffordert; sehr ästhetisch und mit einem spezifischen Charme.
Überhaupt ist diese Schau dem Betrachter sehr zugewandt und ermöglicht viele diverse Perspektiven etwa in den Mittelgrund oder ins Untergeschoss oder von dort nach oben. Die Inszenierung setzt die Arbeiten in eine spürbare Beziehung zueinander und mit dem Raum. Überdies sind einige überraschende Anblicke vorhanden, etwa wenn im Untergeschoss Susanne Jakobs „Sofakissen“ ihre trügerische Gemütlichkeit im Stil mit der harten Realität der Aktionen auf der Langsdorfer Höhe konfrontieren. Jakobs pflückte auch einen „letzten Feldblumenstrauß“ dort, bevor – den Widerständen einiger Bürgerinitiativen zum Trotz – die Bagger und Lkw für den Bau eines neuen Logistikzentrums anrückten. Darüber hinaus sind im KiZ noch zahlreiche weitere, ausnahmslos sehenswerte Arbeiten zu erleben. Diese Schau und ihre digitalen Versionen belegen einmal mehr, dass der OKB nach wie vor eine der richtungsweisenden künstlerischen Vereinigungen in der Region ist und sich bester Lebendigkeit erfreut.