Ein frischer Hauch im Alltag

Gunnar Seidel Foto: Schultz
© Schultz

Auf der taT-Studiobühne war jetzt ein einmaliges Gastspiel des Brachland-Ensembles zu sehen. Gunnar Seidel spielte dabei das Einpersonenstück „Verlieben“. Der routinierte...

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GIESSEN. Auf der taT-Studiobühne war jetzt ein einmaliges Gastspiel des Brachland-Ensembles zu sehen. Gunnar Seidel spielte dabei das Einpersonenstück „Verlieben“. Der routinierte Darsteller und Regisseur bearbeitete das Thema Verlieben mal anders, als Aktion zwischen Darsteller und Zuschauer oder Publikum. Es war nicht durchgehend fesselnd, jedenfalls aber ein frischer Hauch im Alltag.

Gunnar Seidel, einer der künstlerischen Leiter des Ensembles, war bis 2010 am Stadttheater Gießen als Schauspieler engagiert und gastierte hier anschließend mehrfach. Seit 2017 ist er Lehrbeauftragter für szenisch- dramatischen Unterricht an der Hochschule für Musik Nürnberg.

„Im Laufe dieses Abends werden Sie sich in mich verlieben“, provozierte Seidel gleich zu Beginn mal die Zuschauer im gut besuchten taT. Eine steile Prognose, und Seidel konnte sie dann auch nicht umsetzen. Aber es war ja nicht wörtlich gemeint. Die Performance lud vielmehr dazu ein, „in Erinnerungen zu schwelgen, sich der berauschenden Abgründigkeit von Liebesgefühlen hinzugeben und sich immer wieder selbst zu fragen: Bin ich bereit für die große Liebe?“ stand in der Ankündigung – kein kleines Projekt für einen Solodarsteller. Das hatten so auch nicht alle Besucher auf dem Zettel, klar war jedenfalls, der hochsympathische und ebenso routinierte Seidel zog ein Riesenrepertoire von darstellerischen Tricks ab, blickte mal so ins Publikum und zog mal was anderes an. Dergestalt rauschte ein Kaleidoskop an szenischen Eindrücken und Zitaten vorbei, die unter anderem zweifelsfrei Seidels hohe Kompetenz belegten; Momente. Dass bestimmte Substanzen unser emotionales Verhalten und Empfinden beeinflussen wurde vermeldet und durchaus humorvoll demonstriert. Währenddessen – Seidel flirtete per Strippentelefon mit einer Zuschauerin – fragte man sich, wohin diese Reise gehen sollte. Ein paar Interaktionen mit den Zuschauern, die hinter ihren Masken schwer zu lesen waren, dann eine Unterbrechung ins Nachdenkliche, eine zur elektrischen Gitarre gesungene Popballade, ein wildes, perfektes Intermezzo als Affe. Gunnar Seidel kriegte diese Typenwechsel handwerklich und emotional perfekt hin, doch mit der Zeit vermisste man den roten Faden, den Punkt, auf den das Ganze zulief und geschrieben wurde.

Allerdings dürfte es kein Klacks gewesen sein, ein maskiertes, gleichsam abgekoppeltes Publikum zu erreichen, das vor dem sehr herzlichen Schlussbeifall praktisch keine spürbare Rückmeldung geben konnte, auf die darstellerisch zu reagieren gewesen wäre. Seidel musste an diesem Abend schwerer arbeiten als sonst.

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Im Finale noch ein paar sehr starke Typen. Besonders den schwulen Herrscher im Leopardenmantel kriegt er großartig hin, lässt theatralische Konventionen und Klischees hell aufleuchten, bis er dann zu einem szenisch rundum überzeugenden Finale kommt: Erst sprüht er aus zwei Sprühdosen „Glückshormone“ unters Publikum, und schließlich sprüht er sich mit ausgebreiteten Armen im strahlenden Scheinwerferlicht endnarzisstisch selbst damit ein. Ein ganz starkes ironisches Bild. Dennoch: der insgesamt unrunde, diffuse Eindruck mit einigen sehr langen Minuten bleibt bestimmend für diesen Abend.