Seit der Wiedereröffnung des neu gebauten Frankfurter Historischen Museums vor drei Jahren ist dort dauerhaft ein Wandregal von Karsten Bott mit rund 1500 Objekten zu sehen.
FRANKFURT. Vom Sperrmüll und Supermarkt führt ein direkter Weg ins Museum. Jedenfalls für Karsten Bott. Der Frankfurter Künstler sammelt alle möglichen Alltagsdinge: Aktenordner, Backsteine, Wärmflaschen und Zitronenpressen. Und was fehlt, kauft der 60-Jährige dazu, neu oder gebraucht. So bleibt seine skurrile Dokumentation der vergangenen 50 Jahre immer aktuell. Um die beneidet ihn jeder Museumschef.
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Das tut auch Jan Gerchow, der Direktor des Historischen Museums Frankfurt. Sein Haus hat den Auftrag, den Alltag zu dokumentieren. Aber Gerchow muss kapitulieren. Angesichts der massenhaft produzierten Waren kann er nur einen Bruchteil davon erfassen. Das Museum besitzt rund 630 000 Objekte. Karsten Bott hingegen schätzt seine Sammlung auf 300 000 bis 500 000 Dinge, „je nachdem, ob man jeden Lockenwickler und jede Stecknadel einzeln oder als Packung zählt“.
In 5000 bis 6000 Bananenkisten verpackt
Es ist ein überquellendes, auch für den Konzeptkünstler nicht immer leicht überschaubares Alltagsarchiv, normalerweise in 5000 bis 6000 Bananenkisten verpackt und in einer ehemaligen Hanauer Tabakfabrik gelagert. Sein „Archiv für Gegenwarts-Geschichte“ hat er 1988 gegründet, als Student der Frankfurter Städelschule. Aber begonnen hat alles auf dem Bauernhof der Großeltern mit alten Geräten, die er vor dem Müll bewahrt hat.
Seit der Wiedereröffnung des neu gebauten Frankfurter Historischen Museums vor drei Jahren ist dort dauerhaft ein Wandregal von Karsten Bott mit rund 1500 Objekten zu sehen. Sie sind auf 45 thematische Fächer verteilt, jedes Fach ist bunt gemixt für alle Generationen – „kleine Puppenstuben“, so Bott. Das Museum ist zwar derzeit geschlossen, aber dank einer Förderung für Digitalisierungsformate können die Regale bald am heimischen PC durchwühlt werden. Bis es so weit ist, kann man sich auf Botts Website (www.karstenbott.de) umsehen, die ausgewählte Objekte und zwei aufschlussreiche Filme anbietet.
Der manische Sammler Bott geht nach zwei Kriterien vor. „Von jedem eins“, so das erste Kriterium, beginnt mit den Baumaterialien für ein Haus und der Inneneinrichtung, weiter zu Kochen und Essen, Kindheit und Jugend, Heirat und Sexualität, Alter und Krankheit, Tod und Religion, Krieg und Lebensmitteln. Mit gefundenen Steinen schließt sich der Kreis, denn Bott will „das menschliche Leben in allen Facetten abbilden, von der Geburt bis zum Tod.“ So versammelt er exemplarisch alles, was wir benutzen und was uns umgibt. Immerhin besitzt der Mensch durchschnittlich 10 000 Dinge.
Unter dem zweiten Ordnungskriterium „Gleiche Vielfache“ finden sich zum Beispiel allerlei Milchkartons als Stellvertreter für etliche andere ähnliche Dinge. Weitere Sammelobjekte sind Lichtschalter, Steckdosen, Eierschachteln, Teebeutelpackungen, Zahnbürsten und frische Backwaren. Sogar Lebensmittel? Ja, Bott geht es auch um Aktualität, er stellt neue neben verstaubte Dinge. Natürlich sammelt er längst Mund-Nase-Masken.
An all diesen Objekten – mal mehr, mal weniger hilfreich im Alltag – lässt sich der Wandel der Zeitläufe ablesen. So verrät die Kollektion an Teebeuteln, dass die Faden-Dinger längst Lifestyle-Produkte sind. Der gute alte Pfefferminztee hat viel Konkurrenz bekommen, etwa von Kräutertee mit Süßholz. Und mit seinem Archiv hat Karsten Bott schon viele Ausstellungen gehabt, in Frankfurt, New York, Boston und auch in Mainz.
Bott geht wie ein Ethnologe oder Archäologe vor. Allerdings widmet er sich nicht der fernen Vergangenheit, und er gräbt nicht in der Erde. Doch die Hände macht er sich schon mal schmutzig beim Suchen im Sperrmüll. Mit seiner Liebe zu Alltagsobjekten befindet er sich in bester Gesellschaft zu berühmten Künstlern wie Joseph Beuys oder Andy Warhol.
Letzterer meinte, man könnte ein Kaufhaus schließen und 20 Jahre später als Museum der Moderne wieder öffnen. Bott hingegen würde nicht warten, sondern das Kaufhaus direkt in ein Museum umwandeln. Auf diese in unserem Alltag immer mächtiger werdende Dingwelt blickt er zwar sehr liebevoll, aber auch recht kritisch. Und sagt bescheiden: „Ich persönlich kann ganz gut mit wesentlich weniger Konsum leben.“