Andreas Walther ist ein ungewöhnlicher Künstler. Der Gießener beschäftigt sich zum einen mit Natur, zum anderen gestaltet und bildet er sie mit digitalen Mitteln ab.
GIESSEN. Andreas Walther ist ein ungewöhnlicher Künstler. Der Gießener beschäftigt sich zum einen mit Natur, zum anderen gestaltet und bildet er sie mit digitalen Mitteln ab. Die geschieht durchaus nicht auf rein sachliche Art und Weise, vielmehr schafft er eine Synthese aus technischer Umsetzung und kraftvoll expressiver Komposition, wobei er ganz offen ist für die Kooperation mit anderen Künstlern. Und er verbringt schon seit Jahren viel Zeit auf Taiwan und lernte Land und Leute kennen.
Wie kam die ungewöhnliche Beziehung zu Taiwan zustande?
1998 fuhr ich zum ersten Mal nach Taiwan und blieb zweimal je ein Jahr dort – 2003 hatte ich ein Stipendium des DAAD zum Chinesischlernen, das zweite Mal war wegen Taipeh Space (Walthers Kunstausstellung und Räumlichkeit, knapp finanziert durch Crowdfunding). Den Rest der Zeit bin ich zwei, dreimal im Jahr gependelt. Für das Projekt hab ich einige Ersparnisse aufgebraucht, aber ich würde es immer wieder machen.
Wann ging es mit der Kunst los?
Ich hatte zugleich einen Studienplatz an der Hochschule für Künste in Bremen, wo ich 1996 anfing, in einer Filmklasse zu studieren. Von Bremen hatte ich mich zum Vordiplom an der Kunsthochschule für Medien in Köln beworben. Ich hab mich da für Medienkunst entschieden.
Was haben Sie in Taipeh von Ihrer typischen Arbeit umgesetzt?
1998 war ich das erste Mal für vier Wochen auf Taiwan. Es kamen mir dann aber Zweifel am Sinn der Bezeichnung Medienkunst, und ich verstand darunter etwas anderes als Video, digitale Fotografie und interaktive Medien. Jedes dieser Felder hat seine eigenen Charakteristika, die Welt zu spiegeln oder zu vermitteln – es steht also trennend oder verbindend zwischen Welt und Rezipient und macht dann etwas mit der Welt und dem Rezipienten. Ich hatte in Köln angefangen, experimentelle Foto- und Videoporträts zu machen. Es ging mir um Abbildung und Konstruktion von Identität. Taiwan hat mir völlig neue Eindrücke gebracht und ganz neue eigene Wurzeln gezeigt. Ich stieß dort auf für mich unumstößliche Wahrheiten, die plötzlich infrage gestellt wurden. Peu à peu trat ich in die chinesische Sprache ein, mit einer ganz eigenen Logik und einer ganz eigenen Lage von Werten. Irgendwie redeten wir bis dato wohl aneinander vorbei. Erst allmählich wird mehr von dem zugänglich, was für das Gegenüber Wirklichkeit ist. Allerdings kriegt man dort nichts nachgetragen, die Taiwaner sind sehr gastfreundlich und höflich, sie würden einen nie in eine peinliche Situation bringen. Und dann ist es schwer, etwas zu erkennen. Die ganze Kommunikation ist so indirekt und so darauf angelegt, das Gegenüber sein Gesicht wahren zu lassen. Selbst wenn man um ein hartes Feedback bittet, funktioniert das nicht. Das ist kulturfremd, würde ich sagen. Man muss also gleichsam permanent die Selbstkritik laufen lassen…
Weil keine von außen kommt…
…und dann wird man entweder vorsichtig oder das Ego bläht sich auf. Aber das ergibt sich mit der Zeit, dann kommt man zu einer Sicherheit.
Was hat sich denn in der Porträtarbeit auf Taiwan verändert?
Neben meiner künstlerischen Arbeit wurde Identität zu einem elementaren Thema. Völlig neu war mir das Verhältnis Familie und Individuum, die Struktur von Familie ist dort eine ganz andere, bedingt durch die daoistische Auffassung, eines der drei Wertsysteme – Daoismus, Buddhismus, Konfuzianismus – auf Taiwan. Das schreibt eine bestimmte Ordnung vor zwischen den Generationen und den Geschlechtern. Mir hat gefallen, was ich da gesehen habe, und ich wollte gern Teil davon sein. Ich bin seit ein paar Jahren dabei, für den Neuen Kunstverein Gießen und natürlich für mich selbst einen Kulturaustausch zu betreiben. Diese interkulturelle Arbeit muss ganz niedrig aufsetzen, weil viele Deutsche etwa Taiwan gar nicht von Thailand unterscheiden. Es ist sehr mühsam, etwas, das man in 20 Jahren zusammengetragen hat, hier zu setzen.
Ein wesentlicher Teil des Bewusstseins der Taiwaner besteht also darin, die Abhängigkeit von und Verbundenheit von Menschen mit der Natur für normal und gegeben zu halten?
Das ist sozusagen der Nukleus.
Die Taiwaner gelten als sehr gute Corona-Krisen-Bewältiger. Weshalb und kann man das zu Recht sagen?
Von den 24 Millionen Taiwanern pendelt etwa eine Million täglich zur Arbeit nach China. Dort ist es Usus, draußen schon einen Mundschutz zu tragen, wenn man erkältet ist. Das ziemt sich eben so. Taiwan hatte 2003 und 2004 während der SARS-Epidemie schon Erfahrungen gesammelt. Generell ist es in vielen asiatischen Ländern so, dass die Bereitschaft, entsprechenden Anordnungen Folge zu leisten, für eine gesamte Gesellschaft bindend ist: Man macht das einfach so, wenn es nötig ist. Wir hier haben die Notwendigkeit und sehr gute Gründe, die Einschränkung von persönlichen Freiheiten kontrovers zu diskutieren. Taiwan hat Ende 2019 auf die Nachricht der neuartigen Infektion in Wuhan sehr rasch Alarm gegeben und praktisch sofort begonnen, Reisende, die von dort kamen, zu screenen, ihren Aufenthaltsort auf Taiwan zu notieren und Masken zu tragen. Die Präsidentin verbot zudem den Export von Masken. Ein Zug der Kultur besteht ohnehin darin, dass man sich nicht so viele persönliche Freiheiten gegenüber anderen gestattet. Und sie haben relativ früh eine 14-tägige Quarantäne vorgeschrieben, die bei der Einreise heute noch gilt, wie bei uns in Europa. In diesem relativ kleinen Land verliert man sich auch nicht so leicht wie etwa in Deutschland. Hinzu kommen Erfahrungen mit Erdbeben und Taifunen – dann kann man auch drei Tage nicht aus dem Haus, dann ist eben Pause.