Philisophen diskutieren in Darmstadt Grenzen des Digitalen

Gernot Böhme ist Direktor des Instituts für Praxis der Philosophie. Archivfoto: Guido Schiek
© Archivfoto: Guido Schiek

Verlernen wir, ohne Software zurechtzukommen? Das Darmstädter Philosophie-Institut macht bei seiner Herbsttagung auf die Bedeutung analoger Kompetenzen aufmerksam.

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DARMSTADT. (red). Digitale Unterrichtsmethoden werden gefördert – aber der Online-Unterricht hat vor allem die soziale Ungleichheit unter den Schulkindern hervortreten lassen. Digitalisierung des Lernens setzt voraus, dass analoge Kompetenzen bereits gut ausgeprägt sind: Darauf machte der Pädagoge Wolfgang Reinert bei der Herbsttagung des Instituts für Praxis der Philosophie (IPPh) in Darmstadt aufmerksam.

Die Tagung beschäftigte sich mit analogen Kompetenzen. „Dieser Ausdruck ist als Gegenbegriff zur herrschenden Rede über die notwendige und wünschenswerte Digitalisierung unseres Lebens geprägt“, schreibt das Institut in einem Tagungsbericht. „Es geht um Fähigkeiten, das Leben auch ohne Software-gesteuerte Apparate zu führen.“ Als Beispiel nennen die Philosophen die Raumorientierung, die heute von fast jedermann mit Hilfe des Smartphones bewerkstelligt wird. Dabei wird die Orientierung durch Raumgefühl, mit Hilfe des Sonnenstandes, von Landmarks und durch Kartenlesen verlernt – oder gar nicht erst erlernt.

Die Tagung machte auf Verluste des Digitalisierungsprozesses aufmerksam. Zwar gebe es Ethik-Kommissionen, die zur „Humanisierung“ der Digitalisierung beitragen und Kollateralschäden vermeiden sollen. Im Unterschied dazu fragt das IPPh danach, was hinter der „Digitalisierungswalze“ geschieht. In seinem einleitenden Vortrag wies Institutsdirektor Gernot Böhme darauf hin, dass die Corona-Pandemie dem Digitalisierungsprozess einen ungeheuren Push verpasst hat: In allen möglichen Bereichen wurden digitale Möglichkeiten quasi als Ersatz-Strategien eingesetzt – in der Kommunikation, im Bereich des Handels, dem Kulturkonsum, der religiösen Praxis. Was überall fehlt bei den digitalen Substituten, ist die leibliche Anwesenheit.

Diese Sicht wurde ergänzt durch den Vortrag seiner Tochter Rebecca Böhme, die als Neurowissenschaftlerin zum Thema Berührung forscht. Sie wies auf die gesundheitsfördernde Wirkung zärtlichen Umgangs hin.

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Schließlich stellte Kai Buchholz von der Hochschule Darmstadt die Geschichte der Design-Entwicklung von Handwerk und Zeichnen zum Software-gestützten Entwerfen am PC dar. Ästhetische Kompetenz und sinnliche Erfahrung bleiben dabei auf der Strecke.

Das IPPh plant, in der nächsten Zeit Kurse zur Pflege analoger Kompetenzen anzubieten.