Beim Premierenkonzert im Autokino geben die vier Musiker aus dem Norden "alles". Die "Geheimsprache" mit den Fans lässt allerdings so manche Batterie aufgeben.
. GIESSEN. Die Wiedersehensfreude ist auf beiden Seiten riesengroß. Daran gibt es schon nach wenigen Minuten keinerlei Zweifel mehr. Denn: "Eines unserer großartigsten Konzerte der letzten zehn Jahre - echt ohne Übertreibung - war der Gießener Kultursommer", schallt es aus dem Autoradio. Deshalb waren die Jungs von "Revolverheld" auch "die Ersten, die geschrien haben, wir machen das auf jeden Fall". Und die Fans haben sich ebenfalls sogleich in Startposition gebracht: Bereits "nach 250 Sekunden" waren alle Tickets für das erste Autokinokonzert in Gießen weg. Also erklärten sich die vier Musiker aus dem Norden kurzerhand bereit, noch für einen zweiten Auftritt vor Karossenkulisse nach Mittelhessen zurückzukehren - mit ähnlich rasantem Ausverkauf. Dabei müssen sich die Besucher am heutigen Freitagabend in ihren Kraftfahrzeugen aber mächtig ins Zeug legen, um die spektakuläre Stimmung des Premierenabends zu erreichen.
Zwar glaubt Frontmann Johannes Strate zunächst noch, dass "etwas Einspielapplaus super wäre", aber dann flasht den wortgewandten, charmanten Sänger die "maximale Lichthupenshow" doch gewaltig. Begleitet vom dezent vernehmbaren Jubel aus 250 Autos und ebenso vielen zuckenden Warnblinkanlagen schickt er nämlich den Hinweis Richtung Organisationsteam: "Wenn wir nett gefragt werden, kommen wir gern auch wieder." Als Parole des Abends könnte ohnehin - zumindest der Titel des ersten Songs - "Freunde bleiben" gelten.
Ungewöhnlich und skurril
Tatsächlich ist es ein ungewöhnliches und etwas skurriles Konzert auf dem Parkplatz an den Hessenhallen. "Revolverheld" ist live in Lebensgröße durch die Windschutzscheibe auf der Bühne zu sehen. Überdimensional rockt die Band mit musikalischer Unterstützung zudem gleich nebenan auf der Kinoleinwand. Doch zu hören ist außerhalb der Fahrerkabine nur gedämpft das Schlagzeug, das Jakob Sinn mit gewohnter Leidenschaft bearbeitet. Keine Gitarre, kein Keyboard, kein Bass - allenfalls im Flüsterton die launige Zwischenmoderation von Johannes Strate. Der volle Sound kann ausschließlich über das Autoradio auf UKW empfangen werden. "Sämtliche Eingaben gehen direkt ins Mischpult und von dort auf Sendung", erklärt Veranstalter Dennis Bahl im Gespräch mit dem Anzeiger. Dafür wurde für die Autokino-Sessions jeweils eine Frequenz bei der Bundesnetzagentur beantragt. Die Instrumente sind nicht wie üblich an Verstärker angeschlossen, und die Musiker hören sich untereinander einzig dank der kleinen Kopfhörer im Ohr. Eine Ausnahme gibt es nur bei "Immer noch fühlen". Während des Intros läuft Johannes Strate urplötzlich über den Parkplatz und klopft an zahlreiche Fensterscheiben, um direkt ins Wageninnere zu singen.
"Komm' zu uns", ist wenig überraschend aus etlichen Autos zu hören. Klatschen oder gar lautes Hupen aber sind - wohl vor allem wegen eines Anwohners, der "Stress macht", wie Felix Moese von FFH gleich zu Beginn warnt - untersagt. Lichtzeichen aller Art sind hingegen ganz ausdrücklich erwünscht. Und mit strahlendem visuellem Applaus wird "Revolverheld" um 21.20 Uhr nicht nur begrüßt, sondern jeder Song gefeiert. "Macht die Batterie leer", lautet die klare Ansage von der Bühne. "Ich blinke dafür mit dem Herzen", versichert der Sänger. Die Kommunikation zwischen Band und Zuschauern funktioniert vorzüglich. Gleich mehrere Autos springen nach dem Konzert nicht mehr an. Aber zum Glück haben die Organisatoren vorgesorgt: Eine tragbare Starthilfe leistet beste Dienste.
"Wenn ich frage, ob es Euch noch gut geht, und Ihr drei Mal blinkt, heißt das ja", gibt Johannes Strate vor. Die Antwort ist eindeutig: dreifaches Aufleuchten. "Wir lernen noch eine ganz eigene Sprache - eine Geheimsprache, und die lassen wir dann patentieren", plant er bereits fröhlich scherzend für die Zukunft. Womöglich wird "Revolverheld" dann auch "wegen der großen Freude mit dem Licht" immer "Autoscheinwerfer am Eingang zu Konzerten verteilen". Zu dieser Idee passt natürlich vortrefflich der Song "Ich werd' die Welt verändern".
Seit September schon hat die Band live kein Konzert mehr zusammen gespielt und das so schmerzlich vermisst, dass die vier Freunde bei ihrem ersten Auftritt vor Vierrädern überhaupt "ganz rührselig" sind. Obwohl sie gemeinsam zuletzt an neuen Titeln gearbeitet haben. Da liegt für den bekennenden Werder Bremen-Fan Strate der Vergleich zu seinem Lieblingssport ganz nah: "Das ist wie bei einem Fußballer, der drei Jahre in Folge einen Kreuzbandriss hat und dann das erste Spiel wieder machen darf. Der überpacet natürlich sofort in der ersten Halbzeit." Und er fügt hinzu: "Das erlebt Ihr gerade mit uns." Aber selbst auf die Gefahr hin, dass den Musikern am Donnerstag in Erfurt bei ihrem zweiten Autokinokonzert nach zehn Minuten die Puste ausgehen könnte, versprechen sie: "Heute geben wir alles."
Glasreiniger im Einsatz
Das können die Fans auch: Schon um 19.30 Uhr bringen sich die ersten Fahrzeuge vor der Bühne in Stellung. Die Kennzeichen lassen sofort erkennen: Die Gießener sind nicht unter sich. In den benachbarten Landkreisen haben etliche Zuschauer ebenfalls Karten ergattert - aber auch in Rüdesheim, Wiesbaden und Bad Hersfeld. Mit Glasreiniger werden akribisch die Frontscheiben gesäubert, etliche Lichterketten liebevoll drapiert und selbst geschriebene Spruchbänder auf der Motorhaube befestigt. Zwei Frauen aus Köln sind bereits um kurz nach 20 Uhr völlig verzweifelt: "Wir sehen nichts", lassen sie aufgeregt einen Ordner wissen. Nun müssen zwar die hohen und breiten SUVs ohnehin hinten warten, damit sie nicht den kleineren Wagen die Sicht rauben, aber die beiden eingefleischten Fans beharren auf dem doppelten Sehvergnügen. Und da noch Zeit genug ist bis zum ersten Ton, wird tatsächlich noch einmal ordentlich rangiert. Bis auch die Ladies wieder lachen können.
Grund zur Freude haben während und nach den rund 100 Minuten Live-Musik nicht nur Band und Zuschauer, sondern auch die Organisatoren. Zwar blieb so manches Autofenster mindestens halb herunter gefahren, doch zu hören war auf dem großen Gelände von der Radioübertragung kaum etwas. "Das war ein sehr gelungener Auftakt", sagt Dennis Bahl, der sich selbstredend vorstellen kann, bei den "Revolverhelden" durchaus "nett zu fragen, ob sie wieder nach Gießen kommen". Seit dem "großartigen Konzert" auf dem Schiffenberg im vergangenen August "sind wir freundschaftlich verbunden".