Musik im digitalen Zeitalter: Wie sich Schott Music, der Mainzer Verlag mit 250-jähriger Geschichte, mit den Risiken und Chancen der Digitalisierung auseinandersetzt.
MAINZ. Das Wort vom Betrug macht die Runde, ein starkes Wort. Einen „absoluten Betrug“ an den Urhebern warf Peter Hanser-Strecker, Vorsitzender der Geschäftsleitung des Mainzer Schott-Verlags, im Gespräch mit dieser Zeitung Streaming-Diensten wie Spotify vor. Deren Geschäftsmodell habe dazu geführt, „dass wir richtiggehend technisch enteignet wurden“.
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Schott-Geschäftsführer Thomas Sertl sieht das genauso. Er verweist dabei auf zwei Punkte: „Nehmen Sie Strawinskys ‘Feuervogel’, ein Stück von 45 Minuten ohne Unterbrechung: Abgerechnet wird von Spotify an die zuständige Verwertungsgesellschaft lediglich ein einziger Klick. Das entspricht dem Standardwert eines U-Musikstücks, also drei Minuten. Da fällt schon vom Vergütungsansatz der Urheber hinten runter.“
Aber der zweite Betrug sei der viel schlimmere: „Der Urheber, also der Komponist, bekommt bei Spotify nur einen Bruchteil dessen, was der Ausführende und sein Label bekommen. Zu Beginn war das ein Verhältnis eins zu 23, ein bisschen besser wurde es mittlerweile immerhin. Gerade im Bereich der E-Musik finde ich das aber eine vollkommen absurde Umkehrung der Wertigkeiten. Damit habe ich ein massives Problem.“
Schott Music, der große Mainzer Traditionsverlag mit seiner 250-jährigen Geschichte und einem Jahresumsatz von 35 Millionen Euro, steht auf Kriegsfuß mit dieser Spielart der Digitalisierung, mit Spotify, Youtube und Co..
In Sachen Audiostreaming hat die Musikindustrie 2019 enorme Zuwächse zu verbuchen, doch bei den klassischen Musikverlagen kommt davon nur wenig an. Selbst die absolute „Cash cow“ des Hauses Schott, Carl Orffs „Carmina burana“, gibt längst nicht mehr die Milch von früher. „,Carmina burana’ ist das wirtschaftlich wertvollste Recht, das wir haben“, sagt Sertl. „Durch die neuen Streaming-Möglichkeiten und die dort anders gestaltete Vergütung erwirtschaften wir aber nur noch vielleicht fünf Prozent dessen, was wir noch zu CD-Zeiten erwirtschaftet haben. Ja, das ist Betrug letztendlich.“
Carl Orff ist 1972 gestorben, das Urheberrecht gilt bis zum Jahr 2043, so lange verdient der Schott-Verlag immer mit, wenn dieses Werk erklingt. Eigentlich. Aber: „Die Wertschöpfung verschwindet im Nirwana, in Kanälen, die wir überhaupt nicht mehr kontrollieren können. Wo wir immer nur reaktiv hinterherrennen müssen“, beklagt der Schott-Geschäftsführer.
Das Internet, die Digitalisierung: Fluch und Segen zugleich für einen Verlag, der noch vor wenigen Jahrzehnten seine Noten mit Stichwerkzeugen in Metallplatten gegraben hat. Notensatz war über Jahrhunderte wenn nicht eine Geheimwissenschaft, so doch eine Technik, die nicht allen zur Verfügung stand.
Der Segen: Das Netz bietet neue Absatzmöglichkeiten. Im hauseigenen Web-Shop lassen sich viele Titel als Printausgabe oder Datei bestellen, die Musik kann also gänzlich digital auf die Notenständer der Musiker gelangen. Erfahrungen mit digitalen Vertriebswegen hat Schott früh schon zu sammeln begonnen, „doch waren diese Vorstöße leider nicht so erfolgreich, wie wir uns das gewünscht hätten“, gesteht Sertl. Bereits in den 1990ern war der Verlag an einer Firma beteiligt, die Musikaufnahmen klassischer Werke mit dem Notenbild kombiniert hat, sodass man beim Musikhören die Noten mitverfolgen konnte. „Das ist heute Standard auf jeder läppischen Musik-App, damals war das aber ganz neu.“ Der wirtschaftliche Erfolg blieb aus, viel Geld war versenkt worden. „Das waren schmerzhafte Investitionsverluste, weil wir in den seltensten Fällen den Return of Investment generieren konnten. Aber weil wir so früh im digitalen Raum unterwegs waren, sind wir heute in einer besseren Position als viele unserer Mitbewerber.“
Ein weiterer früher Vorstoß war Notafina, eine verlagsübergreifend gedachte Plattform für legalen Noten-Downloads, mit ihren 30 000 Titeln heute immerhin eines der größten Portale für geschützte Musik. Aber auch da sieht Sertl ein: „Wir sind keine Technik-Entwickler. Kein IT-Unternehmen. Unsere Kompetenz ist der Inhalt, unser Substanzwert ist die Musik.“
Die Potenziale des Digitalen nutzen. „Da stellt sich die Frage: Habe ich nicht ganz andere Möglichkeiten der Vermittlung musikalischer Inhalte, die eben nur digital funktionieren und die ein ganz neues Produkt darstellen?“, fragt Sertl. „Da sind wir noch relativ am Anfang. Da ist zum Beispiel das e-Learning. Eine Gitarrenschule etwa, die mit interaktiven Tutorials arbeitet. Wir verknüpfen das mit etablierten, erprobten didaktischen Werken und mit den Inhalten unseres Verlags. Da ist dann das Internet nicht bloß ein zusätzlicher Vertriebskanal für unser traditionelles Geschäft, sondern eine neue Komponente in der Wertschöpfung.“