Verlassene Kinder und Fluchtgemeinschaften: Zwei Bilderbücher öffnen aktuelle Themen fürs junge Publikum.
BUCH. Marika liebt den Fluss Brusturka. Er fließt durch das Karpatendorf Brusturiv, in dem sie mit ihrer Großmutter lebt. Marika ist oft am Fluss. Jetzt aber staunt sie über die vielen Fische, die heute blau auf dem Grund des Wassers leuchten, so blau wie die Marke mit Maria und Jesus auf dem Brief, den die Mutter ihr aus Italien geschickt hat. Auch an diesem Weihnachten wird sie wieder nicht kommen, nur ein paar Geldscheine schicken.
Im Sommer sammelt Marika Blaubeeren, verkauft sie in der Stadt auf dem Markt. Seit sie acht Jahre alt ist, darf sie allein mit dem Bus dorthin fahren. Alle kennen sich da, helfen einander. Jetzt im Winter treffen sich die Kinder am Fluss. Alle haben sie Geld geschickt bekommen. „Wir brauchen das Geld nicht!“, behauptet der große Iwan. Wie er schreiben alle Kinder eine Botschaft auf ihre Scheine, übergeben sie dem Fluss. „Er bringt sie zur Mutter Maria und sie weiß dann schon, was zu tun ist…“ „Komm zurück“, hat Marika auf ihren Schein geschrieben.
Mit ihrer verhalten erzählten Geschichte erinnert die aus der Ukraine stammende, jetzt in Köln lebende Autorin und Pfarrerin Yaroslava Black an die sogenannten Euro-Waisen, jene Kinder aus zumeist osteuropäischen Ländern, deren Eltern als Arbeitsmigranten in den Westen Europas gingen und noch immer gehen, um Geld für die Familie daheim zu verdienen, wo sich Großeltern, große Geschwister oder Nachbarn um die Kinder kümmern. Was bleibt, sind Kummer und Sehnsucht.
Die mit Buntstiften wie von Kinderhand skizzierten Bilder sind einfach, spiegeln doch Milieu und erzählen alles. Es ist ein besonderes Buch; ausgezeichnet mit dem Hamburger Bilderbuchpreis. Ein Nachwort informiert über die „Euro-Waisen“, die einsamen Kinder Osteuropas, die es auch heute noch gibt.
Auch Issa Watanabes Bilderbuch aus dem Hanser-Verlag macht mit einem ernsten Thema vertraut, das sich immer noch nicht beiseiteschieben lässt. Und ganz ohne Worte geht die Geschichte unter die Haut. Dabei ist sie so bunt wie wenige. Leuchtend, umso kontrastvoller, heben sich die Figuren, eine Schar personifizierter Tiere, vor dem dunklen Hintergrund ab. Hase, Löwe, Gans, Eisbär, Giraffe, Tukan, Elefant, Ziege und viele andere haben sich zu einem großen Zug zusammengetan. Sie sind auf der Flucht. Machen Rast, campieren, helfen und schützen einander, hasten vorwärts. Sie fliehen übers Wasser, fahren im Boot, schwimmen. Nicht alle schaffen es. Traurig ziehen sie weiter, lassen einen kleinen Hasen zurück.
Fast tröstlich ist die Szene, wie sich da der Kleine, der ihnen schon lange mit seinem gefiederten Gefährten gefolgt ist, um den kleinen Hasen kümmert. Man hat ihn längst trotz seines bunten Kleides erkannt, ist sein Kopf doch ein Totenschädel. Doch so hört dieses schwierige, anrührende Buch nicht auf: Denn der blühende Baum, zu dem die Flüchtlinge schließlich gelangen, ist wie ein Hoffnungszeichen am Ende der Düsternis. Dieses Bilderbuch der gebürtigen Peruanerin, die mit 19 Jahren nach Spanien auswanderte, ist ein künstlerisches Kleinod.