„Deutsche Autos 1920 bis 1945“ und „Röhr“

Eleganz aus Südhessen: Die Schiebetüren an diesem BMW-Cabriolet waren ein Patent des Darmstädter Karosseriebauers Autenrieth. Die Aufnahme entstand um 1938. Foto: Archiv Werner Schollenberger
© Archiv Werner Schollenberger

Werner Oswalds Klassiker für Technik-Kenner wurde grundlegend überarbeitet. Werner Schollenberg zeigt anhand Röhr, wie anschaulich man über Auto-Entwicklungen erzählen kann.

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. Krückstockschaltung, ja, mit diesem Begriff kann man etwas anfangen. Aber was ist eine Schwebeachse, was darf man sich unter einer „Schnecke ZF-Roß“ vorstellen oder unter einer Königswelle? Man muss schon Rüstzeug an technischen Kenntnissen mitbringen, um von Werner Oswalds Buch profitieren zu können. Hier schreiben Kenner für Kenner, und darum ist nicht mal ein erklärendes Verzeichnis der Abkürzungen nötig. Oswald (1920–1997) war einer der bekanntesten deutschen Motorjournalisten, sein 1977 erschienenes Buch über die deutschen Autos der Jahre 1920 bis 1945 erlebte etliche Neuauflagen. Jetzt ist es grundlegend überarbeitet worden, das Format ist größer, um das neue Bildmaterial zur Geltung zu bringen, und Experten für unterschiedliche Marken haben dazu beigetragen, das gesammelte Wissen auf den aktuellen Stand zu bringen.

Eleganz aus Südhessen: Die Schiebetüren an diesem BMW-Cabriolet waren ein Patent des Darmstädter Karosseriebauers Autenrieth. Die Aufnahme entstand um 1938. Foto: Archiv Werner Schollenberger
Kompakter Gefährte: Der Röhr Junior in der Variante als Limousinen-Cabriolet. Foto: Wolff & Tritschler

Am klaren Aufbau hat sich nichts geändert. Von A wie Adler bis zu Z wie Zwerg (ein Zwölf-PS-Kleinwagen aus dem Jahr 1924) sind die Automarken säuberlich sortiert, und bei allen größeren lassen sich die technischen Details nachlesen, die man sich früher gerne beim Autoquartett aufsagte. Wer staunt, dass die Autos unterschiedlicher Marken manchmal ganz ähnlich ausschauen, lernt nebenbei die Bedeutung des Karosseriebaus kennen, der unabhängig von der Fahrzeugkonstruktion betrachtet wurde; etliche Autobauer konzentrierten sich ganz auf Fahrgestell und Motor, das Blechkleid wurde eingekauft. Zum Beispiel bei Autenrieth in Darmstadt, damals einer der wichtigen Adressen in dieser Branche.

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Oswalds Buch ist auch nach der Überarbeitung keine Geschichte des Autobaus, sondern ein Nachschlagewerk für Experten, das eine erstaunliche Menge an Fakten auflistet, aber weder die Inhalte miteinander verknüpft noch die Geschichten hinter dem technischen Fortschritt sucht. Die größten Überraschungen findet man in den Sammelartikeln über jene Automarken, denen kein eigenes Kapitel gewidmet ist. Neben den großen Herstellern gab es überraschend viele kleine Marken, die manchmal nur ein einziges Modell herstellten. Und die Ingenieurskunst brachte Kuriositäten hervor wie den „Schlörwagen“, ein aerodynamisch geformtes Gebilde, auf das versuchsweise auch ein Flugzeugmotor aufgesetzt wurde. Auch bei den Bildern gibt es hübsche Fundstücke, zum Beispiel die Aufnahme von Luis Trenker, der 1933 vor dem Opel-Werksportal mit einer Limousine posierte.

Unter den Experten, die an der Neuausgabe beteiligt waren, ist auch Werner Schollenberger. Sein jüngstes eigenes Buch zeigt, wie anschaulich man über Auto-Entwicklungen erzählen kann, und wie die geschickte Verknüpfung von biografischen, wirtschaftlichen und technischen Fragen die Tür von der Technik- zur Kulturgeschichte öffnet. Schollenbergers Spezialgebiet aber sind die 1926 gegründeten Röhr-Werke in Ober-Ramstadt, die mit dem Röhr 8 eines der populärsten Fahrzeuge ihrer Zeit auf die Straßen gebracht hatten. Im Mittelpunkt der Darstellung steht die Zusammenarbeit des Firmengründers Hans Gustav Röhr mit dem Konstrukteur Joseph Dauben. Nach dem Röhr-Konkurs in Folge der Weltwirtschaftskrise wechselte das Duo zu den Adler-Werken in Frankfurt, später wird Röhr Technischer Direktor bei Daimler-Benz in Stuttgart, während Dauben in die Entwicklungsabteilung wechselt. Schollenberger beschreibt sehr schön, wie die phanatasievollen Querköpfe unter den eingesessenen schwäbischen Ingenieuren beargwöhnt wurden. Dass das Buch auch alle Fragen der technikvernarrten Leser beantwortet, versteht sich von selbst. Aber es bietet auch für alle anderen auf unterhaltsame Weise überraschende Informationen.