Er misstraut Menschen, die ihm ihre Bücher verkaufen wollen: Ingo Schulze berichtet von einem charismatischen Antiquar und schiebt raffiniert die Erzählerfigur „Schultze“ ins Bild.
. Die Räume in der „Villa Kate“ sehen aus wie ein Antiquariat. Alte Bücher bis zur Decke, ein Regal am anderen. Aber eigentlich ist das „Antiquariat und Buchhandlung Dorothea Paulini, Inh. Norbert Paulini“ eine Kapelle für die Andacht der Bücherfreunde, ein Ort des stillen Einverständnisses, in dem nur die uneingeweihten Besucher den Mann im blaugrauen Schutzkittel für den Hausmeister halten. Es ist Norbert Paulini, der charismatische Antiquar, dessen Kinderbett schon auf den Bücherstapeln seiner Mutter stand, einer Frau aus dem siebenbürgischen Kronstadt, die den Bücherhandel der Familie begründet hatte.
Für Norbert Paulini ist der Handel selbst erst einmal verdächtig. Er misstraut Menschen, die ihm ihre Bücher verkaufen wollen. Paulini selbst hat sich für ein Leben als Leser entschieden, und er verlangt Unvoreingenommenheit vor dem Buch: Erwartungen würden seine Größe auf das Maß des Lesers zurechtstutzen. Die gleichsam religiöse Bücherverehrung macht ihn unter Kennern zum bewunderten Außenseiter, aus der ganzen DDR kommen die Kunden nach Dresden in die Villa Kate, Paulinis Salons sind gesellschaftliche Ereignisse, in denen sich eine Parallelwelt zum real existierenden Sozialismus feiert.
Als politischer Mensch versteht Paulini sich ohnehin nicht, er nimmt nicht teil an den Demonstrationen, die den Staat zu Fall bringen werden. Nebenbei wird er erfahren, dass seine Frau bei den literarischen Treffen für die Stasi gespitzelt hat, aber das interessiert ihn wenig. Man kann Ingo Schulzes neuen Roman als Tragödie eines Intellektuellen lesen, als melancholische Biografie eines radikalen Büchernarren, der lange Zeit ziemlich sympathisch ist. Aber die Zeit verändert auch diesen Mann. Der Westen übernimmt, das Buch ist abgemeldet, er verliert die Frau, jobbt mit schmerzender Schulter an der Supermarktkasse. Erst kommt der Westen in Form der Alteigentümer, die ihn aus der Villa Kate vertreiben, dann kommt die Flut, die seine Bestände zerstört. Und Stück für Stück kann man beobachten, wie dieser Mann sich nun in eine andere Richtung radikalisiert und Ressentiments entwickelt gegen Fremde, die das deutsche Sozialsystem plündern.
Aber Schulze hat keinen Roman zur Erklärung der Pegida-Proteste geschrieben. Mit seinen drei Teilen wird der Roman zum Vexierspiel, in dem die gemütliche Gewissheit der ersten Kapitel schnell unterhöhlt wird. Zwei, drei Mal schiebt sich irritierend der Erzähler selbst ins Bild, bevor er im zweiten Teil das Wort übernimmt, Schultze mit t heißt und viele biografische Parallelen zu Ingo Schulze aufweist. Schultze wird zum Rivalen Paulinis, und in ihrem letzten großen Streitgespräch formuliert der Antiquar die Wirkungsweise dieses Romans: „Sie haben bei mir als erstes gelernt, dass Literatur Eindeutigkeiten nicht mag. Wir reden hier von Literatur, nicht von Schmarrn, dass wir uns da richtig verstehen.“ Und Schmarrn hat auch der Schulze ohne t nicht geschrieben, sondern einen glänzend erzählten Roman, in dem alle Gewissheiten demontiert werden und dem erst am Schluss ein wenig die Spannung abhanden kommt, wenn im dritten Teil die Lektorin des Ganzen die Beziehung zwischen Schultze und Paulini analysiert. Da ist die Frage, ob Paulini wirklich einer der sich rechtschaffen fühlenden Mörder ist, hinter den mehrfachen Brechungen des Themas verschwunden.