Neuer Roman: „Echos Kammern“

Berlin wehrt sich gegen den Immobilienboom und die damit verbundenen Folgen – eines der Themen in Iris Hanikas Roman. Foto: dpa

Eine Schriftstellerin streift durch Manhattan und Berlin und schließt Freundschaft mit einer ratlosen Ratgeber-Autorin: Iris Hanikas Roman ist ein formaler Abenteuerspielplatz.

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. Arm mögen sie ja sein, aber nicht sexy, wie ein Regierender Bürgermeister einmal formuliert hatte. „Wir sind nicht sexy“ ist der Schlachtruf der Demonstranten, die sich gegen die Eindringlinge in Berlin wehren. Nicht gegen die Migranten, die in Jahrzehnten selbst zu Berlinern geworden sind, sondern gegen die Besucher aus aller Welt, die den Immobilienmarkt anheizen, die Mieten steigen lassen und einen Stadtteil nach dem anderen mit ihrer neuen Niedlichkeit überziehen. In Kreuzberg und Schöneberg waren sie schon, in Prenzlauer Berg sowieso, jetzt fallen sie wie die Heuschrecken über Neukölln her. Aber die Protestbewegung schlägt sie in die Flucht, angefeuert durch ein Solidaritätskonzert der Berliner Philharmoniker mit Nina Hagen auf der Waldbühne unter dem Motto „Herz mit Schnauze voll“.

Berlin wehrt sich gegen den Immobilienboom und die damit verbundenen Folgen – eines der Themen in Iris Hanikas Roman. Foto: dpa
Iris Hanika Foto: Alberto Novelli

Diese schöne Fantasie schiebt Iris Hanika, die 1979 nach Westberlin gezogen ist, zwischen die beiden Teile des Romans, der seine Schauplätze in Städten mit dem ähnlichen Problem findet: In New York wie in Berlin werden die Bewohner „hinausgepreist“ aus ihren Stadtteilen, die sie sich nicht mehr leisten können und die ihr Gesicht verändern. Ein renovierter Slum ist genau die Art von Coolness, die reiche Anleger mögen. Sophonisbe, die Schriftstellerin mit dem besonderen Namen, bei dem die Eltern an die italienische Renaissance-Malerin Sofonisba Anguissola dachten, registriert das bei ihren Spaziergängen durch New York genau und findet dieses Muster später in Berlin wieder. Sie durchkämmt in Manhattan Viertel für Viertel, um Material für ihr neues Buch zu sammeln, das um Himmelswillen kein Reiseführer werden soll. Und die Fremdheit ihres staunenden Blickes markiert sie mit einer Sprache, die sie sich erfunden hat und die nicht „language“ heißt, sondern „lengevitch“. Der ungelenke Satzbau hat Methode.

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Klingt kompliziert und verrückt, zumal es auch um Echo und Narzissus geht, die Nymphe, die kein eigenes Wort spricht, sondern nur Wiederholungen, und den jungen Gott, der nur im eigenen Bild Erfüllung findet. Die Neufassung dieses Mythos hatte vor vielen Jahren Sophonisbe als Schriftstellerin bekannt gemacht, zu ihrem Verdruss wird sie immer wieder nur auf dieses eine Buch angesprochen. Der Mythos ist in Ovids Versdichtung überliefert, Hanika parodiert diese Form bei der Schilderung eines Verkehrsunfalls am Schlesischen Tor. Überhaupt ist dieser Roman ein formaler Abenteuerspielplatz, auf dem sich die Erzählerin immer wieder mit Hinweisen an ihre Leser einschaltet. Aber Hanika reiht ihre stilistischen Mittel so virtuos und selbstverständlich aneinander, dass man den Wendungen dieses Weges gerne folgt und dabei sehr gut unterhalten wird. Auch deswegen, weil Iris Hanika glänzend formulierte aktuelle Kommentare unterbringt, zum Beispiel zum Neubau des Berliner Stadtschlosses, einer aufgehübschten Kopie, in der sie die Bekräftigung des Willens zur Bedeutungslosigkeit erkennt.

In New York besucht Sophonisbe einen alten Bekannten, der gleichfalls einen außergewöhnlichen Namen trägt – er nannte sich Bedolf, nachdem seine Eltern ihn in voller Absicht Adolf genannt hatten. In New York ist er reich verheiratet zu Alf geworden, und Alf vermittelt der chronisch wohnungslosen Sophonisbe für die Rückkehr nach Berlin ein Zimmer bei Roxana. Die ist als Autorin von Ratgeberbüchern reich geworden, hat über Manieren in der Stadt geschrieben und über den Umgang mit wütenden und verrückten Menschen. Jetzt wird sie vor allem von Langeweile geplagt, die nur von der kurzen Liebe zu einem viel zu jungen Amerikaner unterbrochen wird.

Es sind die Porträts dieser zwei Frauenfiguren, die den Kern dieses schönen Buches bilden: Sophonisbe, die jeder aufgesetzten Bedeutsamkeit misstraut, Konflikte scheut und wunderbar lakonische Formulierungen finden kann, und Roxana, die ratlose Ratgeberin, bei der man nicht genau weiß, ob die Müdigkeit am Leben übewiegt oder doch die Angst vor dem Älterwerden. Die erste Begegnung der beiden ist ein Kabinettstück spannungsvoller dramatischer Konstruktion. Man könnte in der Deutung dieser Begegnung auch die Geschichte von Echo und Narziss finden. Aber zum Glück schätzt Iris Hanika die herbeizitierte Bedeutungstiefe ebenso wenig wie ihre sehr sympathische Sophonisbe.