Über die Leidenschaft der Büchersucht: Monika Helfer schreibt ihren Familienroman „Die Bagage“ fort.
HÖCHST. „Für Vati, der schuld ist. Dass ich die Bücher liebe“, schreibt sie ihm als Widmung in ihr allererstes Buch. Die österreichische Autorin Monika Helfer, die mit ihrem Roman „Die Bagage“ über die eigene Vorfamilie im vergangenen Jahr Erfolge feierte, setzt die Familiengeschichte im neuen Roman „Vati“ fort. Helfer, verheiratet mit dem Kollegen Michael Köhlmeier, wurde in ihrem Heimatland schon mit vielen Preisen bedacht. Jetzt verhandelt sie die eigene Biografie und verbandelt „Vati“ natürlich mit der „Bagage“ (wie das Dorf die Sippe in Vorarlberg abschätzig nannte), indem sie ihr das neue Buch widmet. Rekurse auf die schöne Großmutter, den Großvater, der die Mutter ignorierte, auf alle Onkel und Tanten enthält „Vati“ auch – doch vor allem soll es ja um ihn gehen, den kleinen, blassen, hübschen Knaben Josef, der sich selbst Lesen und Schreiben beibringt, im Alter von zehn Jahren den Walter-Scott-Schmöker „Ivanhoe“ abschreibt, um tief in die Welt der Bücher einzutauchen. Als er kurz vor der Matura steht, beginnt der Krieg, aus dem er mit verlorenen Hoffnungen und halbem Bein heimkehrt. Im Lazarett hat er Grete kennengelernt, zieht mit ihr in deren Elternhaus und hat mit ihr schließlich vier Kinder. Kind Monika erzählt vom Vater in einem Konglomerat aus Erinnerung und empathischer Fantasie.
„Der Vater, der Verwalter in einem Erholungsheim für Kriegsversehrte war, arbeitete in der Pension als Bibliothekar“, so steht’s über Monika Helfer im neutralen Wikipedia, und Monika Helfer beschreibt dessen Tätigkeit nun aus den Blickwinkeln der Tochter und heutigen Schriftstellerin. Dabei ist sie persönlicher eingebunden als noch in den Erzählungen über das Großelternpaar in der „Bagage“. Die größere Distanz damals erlaubte humorvollen Einschub, Reflektion über die Erzählhaltung und allgemeinere Sentenz. Da das Leben des Vaters dichter mit dem eigenen verknüpft ist, scheut die Autorin Literarisierung, was die Spannung freilich dämpft. Gleichzeitig passt diese Form zur Lebensleistung eines Vaters, der der Leidenschaft zum Buch als solchem mit Haut und Haaren verfallen ist. Im Roman heißt das auch: „asoziale Büchersucht“. Josef ist im Kriegsopfer-Erholungsheim Hüter einer ererbten, höchst erlesenen Bibliothek, ist Experte für den Geruch jeder einzelnen Seite, den Geschmack der Titel und deren Ordnung im Staub. Als er um den Verlust seiner Bibliothek fürchten muss, trägt er die wertvollsten Bücher in den Wald und vergräbt dort seinen Schatz. Nach einem gescheiterten Suizidversuch behält er die Bücher zwar wieder, doch „auf eine bösartige Weise ist alles gut geworden“. Recht gut jedenfalls für Tochter Monika, die sich früh schon wünscht, „dass irgendwann auf einem Buchrücken mein Name steht“, auf dass der Vater stolz auf sie sein kann. Als er später im Leben noch einmal als Leiter einer Leihbibliothek arbeiten kann und eine von ihm bestellte Buchsendung eintrifft, fällt er vor Freude tot um. Welch’ ein Tod!
Wir begegnen in diesem Buch auch wieder der uns aus der „Bagage“ bekannten Tante Kathe, bei der Monika mit ihren Schwestern nach dem Tod der Mutter aufwächst. Lange nimmt der Vater am Leben seiner Tochter nicht mehr teil. Eine späte, anrührend geschilderte Begegnung setzt der Einsicht, „in Wirklichkeit wissen wir gar nichts über ihn“, nichts entgegen. Aber da die Erzählerin sehr wohl weiß, dass, „wenn man nicht alles weiß, kann man es beim Erzählen immer noch schöner machen“, gibt es dieses Buch als Fortsetzung eines selbst erlebten Familienromans.