Nach über einem Jahr Corona-Zwangspause stehen Peter J. Hoffmann und Evelyn Wendler mit ihrem Kabarett-Duo wieder auf der Bühne im Halbneun-Theater. Ihr Thema ist der Egoismus.
DARMSTADT. Endlich wieder auf der Bühne stehen! „Kabarett ohne Publikum macht fast überhaupt keinen Spaß“, bekannte Peter J. Hoffmann bei der Premierenvorstellung am Sonntagabend. Coronabedingt hatten er und Bühnenpartnerin Evelyn Wendler, zusammen das Duo „Kabbaratz“, über ein Jahr warten müssen, bis sie im Halbneun-Theater endlich ihr 31. Programm „Ich würde alles für mich tun“ präsentieren konnten.
Pfiffig stellte sich Hoffmann als Empfänger eines „Stipendiums für einen Corona-Prolog“ vor. Des Geldes wegen müsse er jetzt leider, auf die Gefahr hin, das Publikum zu verärgern, über die Pandemie sprechen. Sie habe eine gesellschaftsverändernde Macht, bringe Menschen dazu, sozial zu retardieren und sich kistenweise mit Wein, stangenweise mit Zigaretten oder palettenweise mit Toilettenpapier einzudecken. Und schon war er auf der Zielgeraden zum eigentlichen Thema des Abends, dem Egoismus. „Ein Egoist ist ein Mensch, der nicht an mich denkt.“ Oder: „Egoisten benehmen sich so, als wären sie allein auf der Welt.“
Im zänkischen Dialog mit Partnerin Evelyn Wendler beteuert Hoffmann: „Ich will und werde kein Egoist sein wollen.“ Sie als seine Gegenspielerin legt zwar Wert auf Gemeinschaft, Achtsamkeit, Sensibilität und Respekt, lässt aber gerade dies im Umgang mit ihm vermissen.
In der nächsten Szene tänzelt sie mit ihrem Smartphone über die Bühne und ist von ihren eigenen Selfies hingerissen. Egal, ob diese 2020 bei Aldi vor einem Regal mit vierlagigem Toilettenpapier aufgenommen wurden oder vor dem Taj Mahal – „ich spüre immer mich“, flötet die Selbstverliebte. „Das ist für mich Freiheit“.
Bei „Kabbaratz“ übernimmt Hoffmann den bissigen Part, und Wendler gibt die Allesversteherin. In ihren Dialogen steigern sich die beiden mit spürbarem Vergnügen in Sprachspielereien hinein. Die Gutgläubige will dem Skeptiker klarmachen, dass es durchaus auch freundliche Menschen gebe, „die andere einfach mögen“. Dazu fallen ihm aber nur Kannibalen ein. Wird ihm ein Lächeln geschenkt, fragt er sich, was ihm der Lächelnde gleich verkaufen will.
Nichts geht über gute Nachbarschaft. Als Nachbarn namens Schorsch und Maria stellt das Duo beim Straßenkehren Betrachtungen über Müllsammelsysteme, Hundekot, Alkoholismus, korrekte Sprache und die CO2-Bilanz von Jägermeisterfläschchen an. Dass einer der Nachbarn, ein über 1,90 Meter langer Kerl, laut einem Gerücht Frau und Kinder schlägt, weil sie sogar im Sommer mit langen Ärmeln herumlaufen, kann Maria tolerieren. Er schlage ihr ja nicht ins Gesicht und lasse ihr somit ein Stück Würde, argumentiert die Spießerin.
„Kabbaratz“ führt die Cancel Culture, die Streich- oder Abbruchkultur, ad absurdum. Hoffmann und Wendler drücken sich gestelzt um das Aussprechen des N-Wortes herum, bis keiner mehr weiß, was es eigentlich bedeutet. Für Putin möglicherweise Nawalny, für Frankfurter Polizisten Nordafrikaner und für Haselnüsse Nager, also Eichhörnchen.
Darf man überhaupt noch die Musik des Antisemiten Richard Wagner hören oder Martin Heideggers „Sein und Zeit“ von 1927 lesen? Wo dieser Philosoph doch mit der Nazi-Ideologie sympathisiert hat? Sauberwaschen ist immerhin möglich. Hoffmann erinnert an die Umbenennung des Beyerweges in Arheilgen, der inzwischen dem Theatermaler Carl Beyer und nicht mehr seinem als Nazi-Anhänger geouteten Sohn Adolf gewidmet ist. Die Hindenburgstraße könnte man ja nach dem gleichnamigen Zeppelin benennen, der – Achtung, Wissenschaftsstadt Darmstadt – mit Wasserstoff, der Technologie der Zukunft, gefüllt war.
Wie Egoismus schon im frühen Kindesalter anerzogen und mit dem Vokabular von Hundetrainern gefördert wird, demonstrieren Omapa und Paoma bei der Beobachtung ihres Enkels Basti beim Sandkastenspiel. Sie greifen nicht ein, als er sich unsozial verhält, sondern feuern ihn an, sich durchzusetzen. Mit Zitaten aus Zeitungsartikeln geben Hoffmann und Wendler dem Thema Egoismus weitere Facettenschliffe.
Zwar war das Kleinkunsttheater bei der Premierenvorstellung nur zu etwa einem Drittel gefüllt, aber der Dank des Publikums und der starke Beifall entschädigten dafür.