Mannheimer Ballett brilliert mit Stücken von Thoss, Goecke...

Tanz der Crashtest-Dummys: Szene aus Giuseppe Spotas Uraufführung „Petruschka“.Foto: Hans-Jörg Michel  Foto: Hans-Jörg Michel
© Foto: Hans-Jörg Michel

Das fängt ja gut an: Die Tänzer des Mannheimer Nationaltheaters zeigen bei der ersten Premiere des Jahres, was technisch und athletisch in ihnen steckt. Das Programm...

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MANNHEIM. Das fängt ja gut an: Die Tänzer des Mannheimer Nationaltheaters zeigen bei der ersten Premiere des Jahres, was technisch und athletisch in ihnen steckt. Das Programm „Let’s Beat“ vereint eine Uraufführung von Giuseppe Spota und zwei Arbeiten von Ballettintendant Stephan Thoss und Marco Goecke zu einem Abend, der dieser Truppe maximale Präzision und Konzentration im Wechsel unterschiedlicher Stilformen abverlangt. Und die Mannheimer nehmen diese Herausforderung mit Bravour an.

Unfallforschung bei Gefühlskollisionen

Dabei dürfen sie bei der einzigen Uraufführung des Abends gar nicht zeigen, was sie drauf haben: Giuseppe Spota, einst Tänzer bei Thoss in Wiesbaden, jetzt Choreografischer Assistent am Nationaltheater, präsentiert den Klassiker „Petruschka“ in einer sehr freien Bearbeitung. Zu Igor Strawinskys Ballettmusik gesellen sich hier schmerzliche Lieder von Claudio Monteverdi. Die Handlung ist vom Petersburger Jahrmarkt, wo sich drei Puppen in ein Eifersuchtsdrama steigern, verlegt in eine Gruppe von Crashtest-Dummys, mit denen Spota emotionale Unfälle simuliert. Aus dem Gaukler ist die Allegorie eines Herzens geworden, das die Puppen antreibt – mit ruckendem Oberkörper getanzt von Silvia Cassata. Als Bühne hat sich der Choreograf Wände mit Röhren entworfen, die an Akustikelemente erinnern, in denen sich klettern lässt, die aber auch Arme und Beine der Tänzer verlängern können. Das erinnert dann an die Mechanik des Triadischen Balletts, und auch sonst gesteht die Choreografie den Figuren keine Eleganz zu: Benommen erwachen sie, unbeholfen bleiben sie, absichtsvoll plump ist ihre Körpersprache, denn Spota zielt auf die Burleske, betreibt dabei aber einen unnötig großen Aufwand. Weniger wäre charmanter gewesen.

Ballettchef Thoss hat sich eine seiner Lieblingsarbeiten aus Wiesbadener Tagen vorgenommen: „La Chambre Noir“ stammt aus dem 2011er-Programm „Magisches Kaleidoskop“ und ist eines jener Nachtstücke des Unterbewusstseins, für die dieser Choreograf ein Faible hat. Acht Männer und Frauen werden von schwarzen Vorhängen ausgespuckt und wieder eingesogen, irrlichtern bindungslos umher, begegnen sich kurz und stoßen sich wieder ab. So wie die Musik zwischen Bach, Hans Zimmer und Mendelssohn Bartholdy von schabenden, schrillenden Störgeräuschen zerschnitten wird, wechselt auch das Temperament des Tanzes abrupt von Elegie zu Ekstase. Die Mannheimer Compagnie nimmt neue musikalische Impulse dabei so geschmeidig auf, dass nie Brüche entstehen.

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Das ist ebenso bemerkenswert wie die scheinbare Selbstverständlichkeit, mit der sich die Tänzer Marco Goeckes sehr spezielles Gestenrepertoire angeeignet haben: „Nichts“ entstand 2008 für das Nederlands Dans Theater II und zeigt das für Goecke typische Vokabular fließend flatternder Gesten von Händen und Armen. Da die Tänzer Hosen mit Bund am Brustbein tragen und – wenn überhaupt – dann meist in Trippelschritten laufen, erinnert das Stück an pantomimisches Clownstheater, an einen Comicstrip mit Charlie Chaplin. Goeckes formaler Minimalismus ist in seiner Schnelligkeit enorm detailreich. Schaut aus, als sei hier das Zappelphilipp-Syndrom nur auf die obere Körperhälfte beschränkt. Zur Klaviermusik von Keith Jarrett verhält sich der Tanz indifferent, das Gitarrenspiel von Jimi Hendrix hingegen fährt den Tänzern schier ins Mark. So wie Thoss trifft auch Goecke den Nerv des Mannheimer Balletts.