So will Darmstadt bis 2035 klimaneutral werden

Darmstadt will bis 2035 treibhausgasneutral werden. Der Klimaschutzplan wurde im September von der Stadtverordnetenversammlung beschlossen und wurde am Freitag bei einer Online-Veranstaltung der Öffentlichkeit vorgestellt. Archivfoto: Guido Schiek
© Archivfoto: Guido Schiek

Der verabschiedete Klimaschutzplan soll Darmstadt zur Klimaneutralität verhelfen. Welche Maßnahmen konkret ergriffen werden, wurde am Freitag vorgestellt.

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DARMSTADT. Zwischen „Ach, es ist eh zu spät“ und „Was – den Klimawandel gibt es wirklich?“, rangieren die Reaktionen der Studierenden von HDA-Professor Sven Linow. Der Vertreter von „Scientists for Future“ machte am Freitagnachmittag deutlich, wie wichtig es ist, das Thema inklusive Chancen und Scheitergefahr schon bei jungen Menschen zu platzieren. In Schulen – Lehrinhalt Ländersache – steht der Klimawandel nicht auf dem Tableau. „Wir müssen auf die Schulen zugehen und fordern: macht das“, sagte er als Beispiel für eine Maßnahme im Bereich Öffentlichkeitsarbeit im Klimaschutzplan. „Wenn wir sagen, die Welt geht unter, dann tut sie das“, sagte Linow.

Alte Maßnahmen reichen nicht aus

In der Spitze bis zu 80 Menschen verfolgten die Onlineveranstaltung der Stadt zur Vorstellung des Klimaschutzplans. Wie berichtet, will Darmstadt bis 2035 die Treibhausgas-Neutralität schaffen, es soll nur noch Emissionen geben, die kompensiert werden können. Ende September haben die Stadtverordneten das 74 Seiten dicke Ding mit seinem 108 Seiten starken Maßnahmenkatalog beschlossen, weil klar war, dass die Stadt mit ihrem 2013 aufgelegten Klimasofortprogramm nicht mehr hinkommt.

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Die alten Maßnahmen reichen nicht mehr aus, um die globale Erwärmung bei den geforderten unter zwei Grad, besser noch bei 1,5 Grad, zu halten. Dass die wichtig sind, machte Patrick Voos vom Amt für Klimaschutz deutlich: Die 1,5 Grad seien so wichtig, weil sie Kipppunkte markieren, ab denen Entwicklungen unumkehrbar ihren Lauf nehmen, sagte er. Darmstadt mit seiner Lage am Rand der Oberrheinischen Tiefebene hat in den vergangenen Jahren zunehmend mit Hitze, Starkregen und immer größerer Dürre zu kämpfen.

„Das Erreichen der ambitionierten, aber existenziellen Ziele erfordern gesamtgesellschaftliches Handeln“, sagte die frühere Umweltdezernentin, Bürgermeisterin Barbara Akdeniz, in Vertretung für den erkrankten Klimadezernenten Michael Kolmer. Der Klimaschutzplan sei ein Fahrplan für die städtischen Aktivitäten, „er benennt Abhängigkeiten und Herausforderungen, die zu bewältigen sind“.

Verkehrswende unerlässlich

Acht Arbeitsgruppen des rund 60-köpfigen Klimaschutzbeirats haben ihn auf den Weg gebracht. Er gliedert sich in die Bereiche Mobilität, Energie und Wärme, Stadtverwaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Wirtschaft und Konsum/Frei- und Grünräume.

Für die Klimaneutralität ist die Verkehrswende unerlässlich, machte die Leiterin des Mobilitätsamts, Katharina Metzker, deutlich. 27 Prozent beträgt der Anteil des Verkehrs am Treibhausgasaufkommen, heute so viel wie 1991. Es gebe Rahmenbedingungen, die die Stadt nicht selbst regeln könne, zum Beispiel Tempo 30 für die Gesamtstadt. Man könne auch – das war eine Anregung aus dem Publikum – keine SUV verbieten. Aber die Zunahme des Umweltverbunds auf 75 Prozent, mit dem Ausbau der leistungsstarken Straßenbahn bis ins Umland und dem Ausbau von Fuß- und Radverkehr ist ein erklärtes Ziel des Klimaschutzplans.

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HDA-Professor Martin Führ sagte, für die Pendlerhauptstadt Darmstadt – 90.000 Pendler jeden Tag – sei die Stadt-Umland-Mobilität der zentrale Hebel. Man könne nicht überall Radschnellwege bauen, aber vorhandene Radwege interkommunal verknüpfen und auch die Kooperation zwischen den Kommunen in Sachen Verkehrswende ausbauen. „Darmstadt sitzt in der Mitte und sollte als Pendlerhauptstadt größer denken“, empfahl Führ. „Mit der typischen Verwaltungslogik, bin ich zuständig‘ ist das nicht leicht zu greifen.“

Beratungsstelle „klimafreundliche Wirtschaft“

Der Verzicht auf fossile Brennstoffe im Verkehr und bei der Wärme macht den Ausbau der regenerativen Stromerzeugung notwendig. Darmstadt kriegt momentan mit seinen Fotovoltaikanlagen und Biomasse sieben bis acht Prozent Eigenversorgung im Jahresmittel hin, sagte Niko Martin vom BUND. Die Stadt muss ihr gesamtes PV-Potenzial heben – und am Ende reicht es trotzdem nicht. Niko Martin: „Wir brauchen das Engagement aller.“ Welche Rolle dabei die energetische Gebäudesanierung spielt, machte Oliver Kah vom Klimaschutzamt deutlich: „Erst nach der energetischen Sanierung haben wir die Chance, mit weniger Temperatur dranzugehen.“ Die Politik setzt auf diverse Förderprogramme für Bürgersolaranlagen und auf Beratung.

Auch die Stadtverwaltung will die PV-Leistung auf kommunalen Gebäuden massiv erhöhen – ein Beispiel, was die Verwaltung tun kann, deren Treibhausgas-Anteil an der Stadt allerdings gerade mal zwei Prozent ausmacht. Auf die Wirtschaft entfallen hingegen 42 Prozent, Julia Vogelsang vom Klimaschutzamt stellte die Pläne für eine Beratungsstelle „klimafreundliche Wirtschaft“ vor. Dieter Krellmann von der Initiative Essbares Darmstadt sagte, man müsse die Menschen auf dem Transformationsprozess mitnehmen, weil Veränderung meist negativ belegt sei, und schwärmte von einem grünen Stadtdschungel. Als Sofortmaßnahme solle man doch einfach vor der Haustür was pflanzen: Auf zwei Quadratmeter lebten mehr Organismen als Menschen auf der Welt.