Haubergsgenossenschaften sind eine Besonderheit im Lahn-Dill-Kreis. Aktuell wählen sie ihre Vorstände. Rechtsgrundlage dafür ist ein Gesetz aus dem Jahr 1887 von König Wilhelm I. Die Umsetzung sorgt für Streit unter Genossen. So sind Kreisverwaltung, Regierungspräsidium, Gerichte und die Staatsanwaltschaft mit diesem Thema befasst, demnächst womöglich auch die Landespolitik. Und die Kreisverwaltung wird am Donnerstag mit zehn Mitarbeitern in Offdilln anrücken, damit die Versammlung dort ordnungsgemäß abläuft.
Von Jörgen Linker
Redakteur Dillenburg
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
HAIGER/ESCHENBURG/DIETZHÖLZTAL/WETZLAR - HAIGER/ESCHENBURG/DIETZHÖLZTAL/WETZLAR. 15 Haubergsgenossenschaften gibt es in Haiger, Dietzhölztal und Eschenburg. Sie bewirtschaften insgesamt über 2000 Hektar Wald. Alle sechs Jahre werden die Vorstände neu gewählt, die Versammlungen finden derzeit statt. Rechtsgrundlage ist ein Gesetz aus dem Jahr 1887. Die historischen Vorschriften sorgen aber dafür, dass einige Vorstandswahlen ungültig waren, beziehungsweise sind. In Offdilln eskalierte der Streit, es folgten rund zehn Gerichtsprozesse sowie staatsanwaltschaftliche Ermittlungen.
Mittlerweile hat die Kreisverwaltung eingegriffen, sie ist die Aufsichtsbehörde für die Haubergsgenossenschaften. Sie will zur Versammlung am Donnerstag (5. Dezember) in Offdilln mit zehn Mitarbeitern anrücken und die Vorstandswahlen organisieren. Aber das Problem bleibt und es betrifft auch die anderen Haubergsgenossenschaften. Eine Lösung: Der Hessische Landtag müsste die Haubergordnung von 1887 abschaffen.
"Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen etc. verordnen (...) für den Dillkreis und den Oberwesterwaldkreis ..." So beginnt die am 4. Juni 1887 erlassene Haubergordnung, ein Gesetz, das noch heute die Bewirtschaftung eines Großteils des Waldes im nördlichen Lahn-Dill-Kreis regelt. Es bestimmt auch: Alle sechs Jahre müssen die Genossen einen neuen Vorstand (Vorsteher plus Beisitzer) wählen.
Wie wird die Haubergswirtschaft im Lahn-Dill-Kreis im 21. Jahrhundert aufgestellt? Geregelt wird sie immer noch mit einem Gesetz von König Wilhelm I. aus dem Jahr 1887. Foto: Archiv
Beschaulich: der Haigerer Stadtteil Offdilln, im Hintergrund die Hauberge. Streitbar: die Haubergsgenossen aus Offdilln. Archivfoto: Christoph Weber
4
So laden die Genossenschaften alle sechs Jahre ihre Mitglieder zu Versammlungen ein. Die jetzige Amtsperiode endet am 31. Dezember 2019, derzeit versammeln sich die Haubergsgenossen wieder. Und Paragraf 15 der Haubergordnung schreibt vor, wie zu den Genossenschaftsversammlungen geladen werden muss: mindestens drei Tage vorher "in ortsüblicher Weise" sowie noch einmal einen Tag vorher, ebenfalls auf "ortsübliche Weise". Jeweils mit Angabe der Tagesordnung.
Ortsüblich war vor 130 Jahren ein Aushang im Dorf oder die Ankündigung durch einen Ortsdiener, der mit einer Schelle durchs Dorf ging.
Im 21. Jahrhundert werden Veranstaltungen im Dillkreis "ortsüblich" per Mitteilungsblatt und "Dill-Zeitung" angekündigt.
HAUBERGE UND HAUBERGSGENOSSENSCHAFTEN
Ein Hauberg, im Volksmund auch "Hackberg" genannt, ist ein Gemeinwald. Im Lahn-Dill-Kreis gibt es Haubergbewirtschaftung seit Jahrhunderten in Haiger, Dietzhölztal und Eschenburg. Hauberge gibt es auch im Süden des Siegerlands. Der Hauberg im alten Dillkreis besteht aus Eichen- und Birkenwald.
Eine "Haubergordnung für den Dillkreis und den Oberwesterwaldkreis" vom 4. Juni 1887 - sie gilt noch heute - ist die rechtliche Grundlage für die Haubergsgenossenschaften und die Haubergsbewirtschaftung.
Insgesamt 15 Haubergsgenossenschaften gibt es im Lahn-Dill-Kreis: Eibelshausen, Dillbrecht, Fellerdilln, Offdilln, Ober- und Niederroßbach, Weidelbach, Bergebersbach und Straßebersbach (in diese zwei Dörfer war Ewersbach bis 1937 unterteilt), Mandeln, Steinbrücken und in Rittershausen: Langenbach, Siebenmärkerlehen, Weimar'sches Kirchenlehen sowie Gombel- und Pfeifferlehen. Sie bewirtschaften eine Waldfläche von insgesamt über 2000 Hektar. Jedes Jahr geben die Genossenschaften eine Teilfläche ihrer Hauberge zum Holzschlagen frei. Die Haubergsgenossen erhalten Anteile an diesen Flächen, dort können sie Bäume fällen, das Holz gehört dann ihnen.
Beim Fällen werden die Bäume dicht überm Boden abgesägt - "auf den Stock gesetzt". Die Baumstümpfe (die "Stöcke") treiben wieder aus, bis nach der "Umtriebszeit" von 18 bis 25 Jahren der Wald an dieser Stelle wieder reif für den Einschlag ist.
Während das Holz heute zum Heizen verwendet wird, wurde es früher von Köhlern in Meilern zu Holzkohle verarbeitet - damit wurden vor allem die Eisengießereien in der Region befeuert. Ein weiterer Wirtschaftsfaktor war die Rinde, "Loh" genannt, sie wurde von den Bäumen geschält und an Gerbereien zum Gerben von Tierhäuten verkauft. Und: Auf den abgeholzten Teilflächen wurde einst Korn gesät und geerntet - denn die Bauern mussten zwar früher von den Erträgen auf ihren Feldern Abgaben an Fürstenhäuser leisten, nicht jedoch vom Ertrag der Haubergsfelder.
Nur Formalien. Aber auch geltendes Recht. In Offdilln sorgt es für viel Ärger. Es gibt Streit unter den Haubergsgenossen. Er beschäftigt das Verwaltungsgericht Gießen, den Hessischen Verwaltungsgerichtshof in Kassel, die Staatsanwaltschaft in Limburg, das Regierungspräsidium (RP) in Gießen und die Kreisverwaltung in Wetzlar.
Nach der Wahl 2013 hatte ein Offdillner Haubergsgenosse gegen den neuen Vorstand geklagt und behauptet, die Wahl sei nicht ordnungsgemäß gewesen, weil nicht ordnungsgemäß eingeladen worden sei - nicht am Tag vor der Versammlung und auch nicht mit Angabe der Tagesordnung; außerdem hätten Personen an der nicht-öffentlichen Versammlung teilgenommen, die das nicht gedurft hätten. Das Verwaltungsgericht Gießen gab ihm recht, und der Hessische Verwaltungsgerichtshof lehnte eine Berufung gegen dieses Urteil ab.
Der Streit in Offdilln beschäftigt auch die zuständige Staatsanwaltschaft in Limburg. "Es gab Anzeigen bei uns", berichtet der Behördensprecher, Oberstaatsanwalt Hans-Joachim Herrchen. Die Akte sei mittlerweile mehr als 800 Seiten dick. Die Vorwürfe gegen den Haubergsvorstand: Steuerhinterziehung und Untreue. Laut Herrchen ist das Verfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung bereits eingestellt. Das andere Ermittlungsverfahren sei noch offen.
Aber was haben die Genossenschaften mit der Kreisverwaltung und dem RP zu tun? Inwiefern sind andere Genossenschaften von dem Streit in Offdilln betroffen?
Neu gewählte Vorstände per Handschlag verpflichten
Laut Haubergordnung muss der Landrat die neu gewählten Vorstände per Handschlag verpflichten. Und der Landrat, beziehungsweise die Kreisverwaltung, müssen prüfen, dass die Vorstände zuvor ordnungsgemäß gewählt wurden. Der Kreis ist die untere Aufsichtsbehörde für die Haubergsgenossenschaften, das RP die obere Aufsichtsbehörde.
Beide Behörden wurden über die Wahlen in Offdilln und das Gerichtsurteil informiert. Reinhard Strack-Schmalor, der Leiter der Aufsichtsbehörden in der Kreisverwaltung, sagt: "Wir haben mit dem RP erörtert, was das Urteil bedeutet." Ergebnis: Der Offdillner Vorstand wurde entpflichtet und ein Beauftragter mit den Vorsteher-Aufgaben betraut - der ursprünglich gewählte Vorsteher.
Auch gegen diese Beauftragung klagte der Genosse, das Verwaltungsgericht gab jedoch den Behörden recht. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel über eine Berufung steht aber noch aus.
Die Urteile haben Folgen. Am morgigen Donnerstag versammeln sich die Haubergsgenossen in Offdilln wieder. Die Vorstandswahlen stehen an. Und die Kreisverwaltung bereitet die Versammlung vor, hat eingeladen und wird die Teilnehmer kontrollieren. Beginn der Versammlung ist um 18 Uhr. Einlass ist ab 16.30 Uhr. Die Kontrolle braucht Zeit. Strack-Schmalor sagt: "Wir kennen keinen der rund 100 Genossen und müssen erst die Personalien prüfen." Die Kreisverwaltung wird mit zehn Mitarbeitern vor Ort sein. Sie wird Stimmkarten ausgeben und voraussichtlich eine Wahlkabine aufstellen. Damit alles ordnungsgemäß abläuft. Damit es keine Klagen gibt. Verwaltungsdirektor Strack-Schmalor rechnet dennoch mit "einer nächsten Runde" vor Gericht. Und er fragt: "Was kostet dieser Abend den Steuerzahler? Ist dieser Aufwand wirklich Aufgabe eines Landkreises?"
Die Urteile haben auch Folgen für die anderen 14 Haubergsgenossenschaften im Lahn-Dill-Kreis. Die Kreisverwaltung hat ihnen jeweils ein vierseitiges Schreiben geschickt, Überschrift "Organisation von Wahlgängen in Hauberggenossenschaften". Und die Verwaltung kontrolliert nun, ob überall ordnungsgemäß geladen wurde. Ein erstes Fazit der vergangenen Wochen: Bei einer Genossenschaft sei die Wahl wahrscheinlich ungültig. "Der Kreis würde dann den bisherigen Vorstand beauftragen, nochmal zur Versammlung einzuladen und erneut zu wählen", sagt Reinhard Strack-Schmalor.
Er befürchtet weitere Folgen: Vor diesem Hintergrund werde es vermutlich immer schwieriger, neue Vorstände für die Genossenschaften zu finden. "So will doch niemand mehr Haubergsvorsteher werden." Was passiert dann mit führungslosen Haubergen?
Strack-Schmalor stellt klar: "Wir, als Aufsicht, werden keine Wälder betreiben." Vermutlich müsse das RP dann Staatsbeauftragte mit diesen Aufgaben betrauen - gegen Honorar aus der Kasse der Genossenschaften. Die Frage sei dann: Was bleibt den Genossenschaften noch an Erträgen? "Auf diese Weise könnten die historischen Hauberge kaputtgehen."
Es gibt aber eine Lösung, eine politische. Der Hessische Landtag müsse die Haubergordnung von 1887 aufheben, fordert Strack-Schmalor. Anschließend müsste die Bewirtschaftung der Hauberge im Waldgesetz geregelt werden, und die Haubergsgenossenschaften müssten in privatrechtliche Genossenschaften umgewandelt werden. Sie könnten dann wie jede andere Genossenschaft oder wie jeder Verein ihre Regularien, wie die Einladung zu einer Wahlversammlung, in eigenen Satzungen bestimmen.
Auch im benachbarten Siegerland gibt es Hauberge und Haubergsgenossenschaften. Dort habe das Bundesland bereits 1975 die alte Haubergordnung abgeschafft. Und in Hessen? "Wir haben gemeinsam mit dem Regierungspräsidium schon mehrere Anläufe gemacht, unsere Landesregierung von einem ähnlichen Weg zu überzeugen, sie müssten das Gesetz aus NRW nur abschreiben", sagt Strack-Schmalor. "Es ist uns bislang noch nicht gelungen."
Beteiligt wären nach seinen Angaben das Umweltministerium, zuständig für den Wald, das Wirtschaftsministerium, zuständig für Genossenschaftsrecht, und das Innenministerium, zuständig für die Aufsicht - "sie schreien alle nicht ,Hier!' für ein Problem am Rande Hessens".