Die "Neue Rechte": Verfassungsschützer berichtet in Driedorf
Was ist die "Neue Rechte"? Was hat sich verändert? Was sind die Strategien? Sven Daniel sagt: "Rechtsextremismus ist die größte Gefahr für unsere Demokratie und Sicherheit".
Von Christian Hoge
Redakteur Dillenburg
Eine Gruppierung, die der "Neuen Rechten" zuzuordnen ist: die rechtsextreme "Identitäre Bewegung". Foto: Paul Zinken/dpa
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DRIEDORF - Die Springerstiefel sind längst passé: Viele Rechtsextreme haben sich gewandelt - und treten oft anders als noch vor einigen Jahren auf. Was macht die sogenannte "Neue Rechte" aus? Was sind ihre Strategien? "Rechtsextremismus ist momentan die größte Gefahr für unsere Demokratie und Sicherheit", hielt Sven Daniel fest. Der ehemalige Polizist ist Leiter des "Kompetenzzentrums Rechtsextremismus" (KOREX) beim hessischen Verfassungsschutz - und war in Driedorf zu Gast. Im Bürgerhaus informierte er über die "Neue Rechte".
Es gehe um "Sensibilisierung und Fortbildung", so Bürgermeister Carsten Braun (CDU). Im Publikum saßen unter anderem Aktive der Freiwilligen Feuerwehr, Beschäftigte der Verwaltung und Vertreter der Lokalpolitik. Das KOREX bietet solche Vorträge für alle Kommunen an.
DAS "KOREX"
Seit dem Jahr 2008 gibt es im Landesamt für Verfassungsschutz in Hessen das Kompetenzzentrum Rechtsextremismus (Korex). Leiter ist Sven DanielEine zentrale Aufgabe ist die Sensibilisierung der Öffentlichkeit.
Das Korex betreibt PräventationsarbeitDazu gehören Vorträge, oft für bestimmte ZielgruppenDas Fortbildungsangebot richtet sich zum Beispiel an Lehrkräfte oder an Mitarbeiter von Behörden - etwa in Kommunen. In Driedorf kam die Feuerwehr hinzu.
Zudem erstellt das Korex Infomaterialien, die online zum Herunterladen bereitstehen. Im März 2022 erschien die 32-seitige Broschüre "Die 'Neue Rechte' - Eine Gefahr für die Demokratie." Weitere Infos: www.lfv.hessen.de
Was hat sich verändert?
Nicht mehr alle Rechtsextremen orientierten sich am historischen Nationalsozialismus, merkte Daniel an. Das sorge auch dafür, dass die "Neue Rechte" weniger isoliert sei - und führe zu einer erhöhten Mobilisierungs- und Anschlussfähigkeit. Trotzdem sei die "Neue Rechte" alles andere als "neu", sondern, vertrete antiliberale sowie antidemokratische und autoritäre Positionen. Auch das Auftreten zahlreicher Rechtsextremer habe sich verändert und entspreche häufig nicht mehr den alten Klischees: Sie agierten subtiler, niedrigschwelliger und professioneller - was sie umso gefährlicher mache. Es gebe viele Facetten - "vom smarten Intellektuellen bis hin zum Rechtsterroristen".
Sven Daniel vom Kompetenzzentrum Rechtsextremismus (Landesamt für Verfassungsschutz).
(Foto: Christian Hoge)
Digitale Strategien
Gerade auch online versuchen Rechtsextreme, mit neuen Mitteln Fuß zu fassen - und große Reichweiten für ihre Ideologie zu nutzen. So gebe es rechtsextreme "Influencer", deren Videos in sozialen Netzwerken zum Teil millionenfach angesehen werden. Daniel verweis außerdem auf "Troll-Armeen", wenige organisierte Rechtsextreme, die Online-Diskussionen aber mit massenhaften Beiträgen manipulieren. Auch Computerspiele aus den Reihen der "Neuen Rechten" seien im Umlauf. Zudem habe sich die Propaganda im Musikbereich verändert: Statt des früher verbreiteten Rechtsrocks setze man zunehmend auf verschiedene, neue Genres - etwa Hip Hop. "Die Neue Rechte versucht, die rechtsextremen Inhalte, in neue, moderne Ausdrucksformen zu verpacken." Das Motto lasse sich als "popkulturell statt subkulturell" beschreiben - das Ziel sei, größere Teile der Gesellschaft anzusprechen.
"Konservative Revolution"
Eine ideologische Grundlage der "Neuen Rechten" ist die "Konservative Revolution" - eine Strömung der Weimarer Republik, die sich vor allem gegen Liberalismus wendete. Es handle sich um "intellektuellen Eliten", die die Weimarer Demokratie verachteten. In dem vermeintlich "konservativen" Gewand steckten, so Daniel, Rechtsextreme, deren Ziel ein autoritäres Staatssystem sei. Der Experte nannte auch das Konzept des "Ethnopluralismus", auf das sich Teile der "Neuen Rechten" beziehen. Nach diesem Denken solle es eine "Vielfalt der Völker" geben. Ein Volk müsse demnach aber "ethnisch-homogen" sein - entscheidend sei also die "Abstammung".
Welche Akteure gibt es?
Der Referent nannte verschiedene Organisationen und Akteure, die zusammen die "Neue Rechte" bilden. Dazu zähle etwa die "Identitäre Bewegung". "Wobei das Wort 'Bewegung' Unfug ist. Das ist eine Kaderorganisation junger Männer, die ihren Vorlauf vor allem in der völkischen Szene gehabt haben", führte der Referent aus. Sie versuchen vor allem, junge Menschen zu gewinnen, die andere Rechtsextreme nicht erreichen, und setzen dabei unter anderem auf eine modernere Außendarstellung. Als eines der wichtigsten Medien der Szene führte der Verfassungsschützer das Compact-Magazin - und dessen Online-Ableger - auf.
Das Verhältnis zur AfD
Daniel nannte das Verhältnis der "Neuen Rechten" zur AfD "sehr relevant". Vor allem in Ostdeutschland sei das aufgrund der Wahlerfolge der Partei ein "Riesenthema". Den Verleger Götz Kubitschek und sein "Institut für Staatspolitik" (Daniel: "eine pseudo-wissenschaftliche Einrichtung"), bezeichnete er als "Ideengeber des Flügels, des rechtsextremistischen Teils der AfD". Und: "Es gibt Narrative der 'Neuen Rechten', die wir heute im Bundestag hören."
Verschwörungsmythen
Besonders in der Pandemie seien Verschwörungserzählungen verbreitet - auch bei Rechtsextremen. Das gelte allen voran für den Messengerdienst "Telegram". Die Narrative drehten sich etwa um einen angeblichen "Großen Austausch" oder antisemitische Verschwörungserzählungen rund um eine vermeintliche "Weltverschwörung". Sie firmiert oft als "NWO" oder "New World Order" (Neue Weltordnung). Auch auf Demos sind solche Verschwörungsmythen verbreitet. Die Gruppe "Herborn steht auf" warb kürzlich auf einem Flyer mit den Worten "Nein zu WHO-Vertrag und NWO".
Das Gefährliche: "Aufgrund dieser Verschwörungstheorien werden Anschläge verübt", hielt der Verfassungsschützer fest. "Viele sehen das vielleicht als lächerlich an. Aber es gibt Menschen, die sich davon so radikalisieren lassen, dass sie zur Waffe greifen oder Karl Lauterbach entführen wollen." Als Beispiel nannte er das Attentat im US-amerikanischen Buffalo, bei dem im Mai zehn Menschen starben. Der Täter hatte in einem Manifest auf diverse Verschwörungserzählungen verwiesen.