Parkour in Haiger: Die Kunst der effizienten Fortbewegung
Als einer der ersten Trainer Deutschlands bringt Ben Menges Kindern und Jugendlichen bei, die Grenzen des Körpers kennenzulernen. Was für ihn die Faszination ausmacht. Mit Video.
Von Timo König
Volontär
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HAIGER - In der Sporthalle der Grundschule Haiger läuft der Hip-Hop-Klassiker "Remember The Name". 10 Prozent Glück, 20 Prozent Können, 15 Prozent Willenskraft, 5 Prozent Vergnügen und 50 Prozent Schmerz, heißt es frei übersetzt im Songtext des amerikanischen Musikprojekts "Fort Minor". Eine Erfolgsformel, die sich auf viele Bereiche des Lebens übertragen lässt, gilt auch für die Extremsportart Parkour, in der es vereinfacht gesagt darum geht, möglichst effizient von Punkt A nach Punkt B zu kommen. Wie das funktioniert, zeigen der TV Haiger und Parkourtrainer Ben Menges jeden Donnerstagabend. Kinder und Jugendliche sollen lernen, auf natürliche Art und Weise die Grenzen des eigenen Körpers kennenzulernen.
Doch bevor es an die in der Halle aufgebauten Sprungkästen, Kletterwände und Recks geht, ist ein ausführliches Aufwärmprogramm Pflicht. Insbesondere auf das Dehnen des gesamten Körpers legt der 27-jährige Trainer bei seinen Schützlingen großen Wert. Menges selbst hatte mit Blick auf schwerere Verletzungen bisher Glück: "Ich habe mir einmal ein Außenband gerissen", sagt der Rodenbacher und ergänzt: "Das war's zum Glück aber auch schon." Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich gehören spektakuläre Stunts und Sprünge zum Tagesgeschäft der erfahrenen Parkourläufer dazu. Denn fortgeschrittene Sportler widmen sich häufig auch dem sogenannten Freerunning, das eng mit Parkour verbunden ist, bei dem es aber weniger um Schnelligkeit und mehr um die Optik und Kreativität geht.
Jeden Donnerstagabend geht es in der Sporthalle der Grundschule Haiger ordentlich zur Sache: Trainer Ben Menges (2.v.r.) bringt hier Dutzenden Kindern und Jugendlichen die Grundtechniken des Parkour und Freerunning bei. Foto: Timo König
Seine Leidenschaft für die "Kunst der effizienten Fortbewegung", wie Parkour auch genannt wird, hat Menges im Alter von 16 Jahren entdeckt. Zufällig ist er mit Freunden über die Videoplattform "Youtube" auf die Sportart aufmerksam geworden. "Wir fanden es interessant und haben beschlossen, es uns einfach auf der Straße selbst beizubringen", erinnert er sich.
Beim Parkour geht es auch darum, das Maximale aus dem eigenen Körper herauszuholen, meint Trainer Ben Menges (r.). Zum Aufwärmen macht er gemeinsam mit seinem Schüler Jonte einige Klimmzüge.
(Foto: Timo König)
Damals sei Parkour völlig unbekannt gewesen. Offizielle Trainer habe es noch lange nicht gegeben, und der Reiz habe vor allem darin gelegen, eine bekannte oder unbekannte Umgebung auf neue Art und Weise zu erkunden und neu zu interpretieren. Nur mit dem eigenen Körper und ohne externe Einflüsse.
PARKOUR UND FREERUNNING IN HAIGER
Jeden Donnerstag bietet der TV Haiger ab 18 Uhr in der Sporthalle der Grundschule Parkour und Freerunning für Jungen und Mächen an. Es geht darum, auf schnellstem Weg von A nach B zu kommen. Dafür werden sogenannte "Vaults", also Überwindungen, erlernt, mit denen man die verschiedenen Hindernisse meistern kann. Hat man diese Basics erlernt, widmet man sich im Freerunning der kreativen Ausgestaltung der Bewegungen, hier geht es mehr um die Optik und vor allem um die Kreativität (tkö)
"Es gibt immer 1000 verschiedene Möglichkeiten, eine bestimmte Strecke zurückzulegen", beschreibt Menges die Faszination für sein Hobby.
Zwar sei Parkour oder Freerunning der breiten Masse noch immer nicht bekannt, dennoch haben sich die Strukturen im Vergleich zu vor mehr als einem Jahrzehnt stark verändert. Vielen seiner Freunde sei die Kommerzialisierung, wie es Menges nennt, des einstigen Untergrundsports ein Dorn im Auge. "Viele wollten nicht, dass es sozusagen offiziell wird". Selbst über eine Aufnahme der Sportart bei den Olympischen Spielen wurde bereits diskutiert.
Ein großer Aspekt ist der eigene Kopf
Menges versteht die Skepsis, steht der Entwicklung seiner Sportart aber weitestgehend positiv gegenüber; schließlich haben sich für den Lehramtsstudenten, der auch als freier Künstler tätig ist, in den letzten Jahren völlig neue Möglichkeiten ergeben. Beim TV Frohnhausen hat er seine Trainertätigkeit vor rund fünf Jahren begonnen. Als er dort seinen ersten Parkour-Kurs angeboten hat, war der Zulauf - insbesondere aus den Reihen der Turner - auf Anhieb gewaltig. "In den Grundzügen gibt es viele Ähnlichkeiten mit dem klassischen Turnen", erklärt er. Ein Jahr später folgte nicht nur der Wechsel zum TV Haiger, sondern der damals 22-Jährige absolvierte auch einen offiziellen Trainerlehrgang. Damals ein absolutes Novum. "Ich war quasi einer der ersten 18 offiziellen Parkour-Trainer in ganz Deutschland", erzählt er stolz.
Ein Aspekt beim Parkour und Freerunning ist die Kreativität. Co-Trainer Felix zeigt, wie es möglich ist, zwei aneinandergereihte Sprungkästen zu überwinden.
(Foto: Timo König)
Rund 500 bis 600 Kinder und Jugendliche hat er eigenen Schätzungen zufolge seither trainiert. Wichtig ist ihm dabei, dass sich neben dem Spaß jeder seiner Schüler eigene Ziele setzt. Deshalb ist das Parkour-Training in Haiger völlig offen gehalten. "Jeder soll für sich selbst überlegen, welcher Sprung oder Stunt beim nächsten Mal hinzukommen soll."
Um zur Erreichung der individuellen Ziele beizutragen, versucht der 27-Jährige, die richtigen Tipps zu geben. "Ein großer Aspekt ist der Kopf. Wir helfen dabei, an der Überwindung zu arbeiten." Beispielsweise beim Erlernen eines Rückwärtssaltos. "Je älter die Teilnehmer sind, desto schwieriger wird es, die Blockaden im Kopf zu lösen", sagt Menges. "Kleinere Kinder denken oft nicht über mögliche Gefahren nach, die eigentlich keine sind".
Ähnlich wie bei sich und seinen Freunden vor rund einem Jahrzehnt selbst, hofft Menges, dass einige seiner Schützlinge ihre Kreativität nicht nur in der Sporthalle in Haiger, sondern auch draußen ausleben werden. Egal ob als Parkourläufer oder als Freerunner; und vielleicht ja sogar eines Tages bei den Olympischen Spielen.
In diesem Video zeigen die Wetzlarer Calisthenics, wie man sich ohne große Hilfsmittel selbst fit und geschmeidig halten kann.