Freitag,
09.03.2018 - 13:54
6 min
„Können wir uns das alles leisten?“

Von Jörg Weirich
Redakteur Dillenburg
Herborn - 7,129 Millionen Euro – netto. Das ist die Summe, die aus der Gewinnrücklage der Herborner Stadtwerke in den städtischen Haushalt 2018 fließen soll, damit dieser ausgeglichen wird und die Stadt zur Genehmigung desselben kein Sicherungskonzept braucht.
So zumindest hat es die Stadtverordnetenversammlung am Donnerstag auf Antrag von CDU, Freier Wählergemeinschaft (FWG) und Grünen mit 18 Stimmen aus diesen drei Fraktionen mehrheitlich beschlossen. Fünf Stadtverordnete von Sozialgruppe Herborn (SGH) und FDP stimmten dagegen. Die zehn anwesenden Sozialdemokraten enthielten sich der Stimme.
In der Bilanz der Stadtwerke GmbH wird die Entnahme aus der Rücklage höher als die genannten 7,129 Millionen Euro ausfallen, da auf diese Summer unter anderem noch Kapitalertragssteuer und Solidaritätsbeitrag zu zahlen sind. Wie hoch genau der Betrag am Ende ausfallen wird, konnte auch Bürgermeister Hans Benner (SPD) noch nicht sagen. Während der Debatte vor der Abstimmung hatten die Angaben verschiedener Redner aus den Fraktionen zwischen 9,5 und 9,7 Millionen Euro geschwankt.
Es gibt viel zu tun: Bürgerhäuser, Bäder, Straßenbeiträge, Verkehrskonzept und Vogelpark
Als erster Redner war Stadtverordnetenvorsteher Jörg-Michael Müller (CDU) ans Pult getreten, weswegen Bernd Walther (FWG) die Sitzungsleitung übernahm. Der Haushalt 2018 sei „ein ganz schöner Mist“, sagte der Christdemokrat. Und zwar, weil Herborn seit Jahren eine andere Situation gewohnt sei, nämlich über ausreichend Finanzmittel zu verfügen. Zur Erinnerung: Der ursprüngliche Entwurf, den Benner im Januar vorgelegt hatte, wies im Ergebnisteil für den laufenden Betrieb aus der Verwaltungstätigkeit ein Minus von rund vier Millionen Euro aus.
Bisher „warm eingerichtet“, so Müller weiter, sei es plötzlich „nicht nur zugig geworden, sondern es hat heftig reingeregnet“. Was er damit meinte, war die Mitte vergangenen Jahres auf die Stadt zugekommene Überraschung, rund sieben Millionen Euro Gewerbesteuer zurückzahlen zu müssen. Statt aber, wie von Benner und der Verwaltung vorgeschlagen, vornehmlich auf die Erhöhung von Steuern und Gebühren zu setzen, um die Finanzlage zu verbessern und ein die Handlungsfreiheit einengendes Sicherungskonzept für die Haushalte der nächsten drei Jahre aufzustellen, hätten die drei Mehrheitsfraktionen einen anderen, den nun vorgeschlagenen Weg gesucht.
Ungeachtet dessen „müssen wir uns fragen: ,Können wir uns das künftig noch alles leisten, wie wir es uns derzeit leisten?’“, sagte Müller. Als Stichworte nannte er den Vogelpark, das Nebeneinander von Bauhof, Stadtwerkebetriebshof und Forstamtsbetrieb auf dem früheren Vegeta-Gelände sowie den „Friedwald“ zu den jetzigen Vertragsbedingungen. „Dieser Haushalt zwingt uns, in den nächsten Monaten in die Tiefe zu gehen“, so Müller.
Das sah Klaus Enenkel (FWG) ebenso. Kritisch merkte er an, es wäre wünschenswert gewesen, dass die Verwaltung die Parlamentarier früher in die Überlegungen zum Gegensteuern eingebunden hätte. Und dass die Verwaltung ihnen – „wir sind alle nur ehrenamtliche Kommunalpolitiker, die das zum Teil nur nebenbei machen“ – Alternativen zu „Gebühren, Steuern hoch und Licht aus!“ aufgezeigt hätte.
Thea Garotti (Grüne) sagte, dass dieser Haushalt „weit entfernt“ von grünen Vorstellungen einer nachhaltigen Politik sei. Das nun angestrebte Vorgehen unterstütze ihre Fraktion nur, weil es kurzfristig nötig sei, um aus der Schieflage herauszukommen. So lange Kommunen fast nur von der Gewerbe- und der Grundsteuer B leben müssten, könne eine solche aber immer wieder auftreten. Deswegen forderte sie eine grundlegende Reform der kommunalen Finanzierung.
In Herborn müssten Versäumnisse behoben werden: „Wenn ich nur an die Bürgerhäuser denke. Ich sitze hier schon seit 13 Jahren, und damals schon wurde gesagt: ,Wir müssen uns der Sache annehmen.’“ Getan habe sich aber nichts.
Genauso sehe es bei den Schwimmbädern aus, die neben dem geplanten Verkehrskonzept („mit teils völlig unterschiedlichen Auffassungen der Fraktionen“), dem Vogelpark („ja, nein, oder in welcher Form geht es weiter?“) und der Erhebung von Straßenbeiträgen („wie oder am Ende gar nicht?“) zu den Problemen gehörten, die noch 2018 gelöst werden müssten.
Für die SPD bedauerte es Jörg Menger, dass die Beratungen zum Haushalt nicht schon im Februar, als alle politischen Sitzungen abgesagt worden waren, begonnen haben. Seine Fraktion wäre dafür gewesen, das von der Verwaltung vorgelegte Sicherungskonzept zu diskutieren: „Wir hätten ein paar Punkte abgelehnt, ein paar geändert und ein paar eigene, neue eingebracht“, sagte er. Dann wäre man mit einer geringeren Entnahme aus den Stadtwerke-Rücklagen ausgekommen. Er bezweifelte, dass das von CDU, FWG und Grünen angekündigte Vorhaben, sich jetzt schnell und umfassend über Einsparungen im Haushalt und andere finanzpolitische Weichenstellungen Gedanken machen und noch im Laufe des Jahres zu Lösungen kommen zu wollen, tatsächlich zu etwas führen werde: „Im Herbst ist Landtagswahl, 2019 Bürgermeisterwahl und 2021 Kommunalwahl – da passiert vorher erfahrungsgemäß nicht viel“, sagte er.
Benner: „Sie haben vieles genannt, was Sie tun möchten, und ich kann Ihnen sofort eine Liste dazu vorlegen“
Für die SGH meldete Frank Deworetzki Skepsis am geplanten Vorgehen an und bezweifelte, dass es langfristig von Erfolg gekrönt sei. Er ging davon aus, dass es bis zu einer nächsten Wirtschaftskrise nicht weit sei und Herborns Haushalt keine strukturellen Verbesserungen aufweise, um für diesen Fall gewappnet zu sein.
Auf letztgenanntes bezogen, argumentierte Wilhelm Sbresny für die FDP ähnlich. Er sei gespannt, ob das von CDU, FWG und Grünen favorisierte Vorgehen zu einem Erfolg führe oder nicht.
Als Letzter vor der Abstimmung meldete sich der Bürgermeister zu Wort: „Sie haben vieles genannt, was Sie tun möchten, und ich kann Ihnen sofort eine Liste dazu vorlegen“, sagte er in Anspielung auf die auch in seinen Augen dringend zu lösenden Probleme.
Was folgte, waren die Annahme aller zuvor in den Ausschussberatungen zum Teil noch geänderten Satzungsentwürfe über verschiedene städtische Gebühren und die das Thema beschließende Abstimmung über den Etat. Nach allein über dreistündiger Debatte zum Haushalt 2018 endete die Sitzung gegen 21.45 Uhr.