Pflege während der Corona-Krise: "Viele Patienten haben Angst"
Wie funktioniert ambulante Pflege, wenn man wenig Kontakt zu Menschen haben soll und die Pflegebedürftigen zur "Risikogruppe" gehören? Kathrin Schäfer aus Herborn berichtet.
Von Jörgen Linker
Redakteur Dillenburg
Kathrin Schäfer leitet den ambulanten Pflegedienst der Diakoniestation Herborn und Sinn, sie sagt: "Wir sind manchmal die einzigen Kontakte. Wir sind aber auch potenzielle Überträger des Coronavirus." Foto: Katrin Weber
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HERBORN/SINN - Der ambulante Pflegedienst der Diakoniestation Herborn und Sinn betreut rund 170 Menschen, meist ältere. Die Mitarbeiter fahren in den beiden Kommunen von einem Pflegebedürftigen zum nächsten, besuchen diese zu Hause. Sie spritzen Insulin, messen Blutdruck, verabreichen Arzneimittel, versorgen Wunden, helfen bei der Körperpflege, beim Essen und Trinken sowie beim An- und Auskleiden. Wie geht das in Zeiten der Corona-Pandemie, wenn eigentlich Abstand gefragt ist, besonders zu Menschen, die zur "Risikogruppe" gehören?
Kathrin Schäfer aus Merkenbach ist Leiterin des Pflegedienstes der Diakoniestation. 24 Pflegerinnen und Pfleger sind dort beschäftigt. Sie berichtet: "Viele Patienten und deren Angehörige haben Angst und sind verunsichert." Die Pflegebedürftigen gehörten durch ihr hohes Alter oder durch Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Lungenkrankheiten "komplett zur Risikogruppe". Und sie seien aktuell weitgehend isoliert. Die Pfleger seien deshalb auch als Seelsorger gefragt.
"Wir sind manchmal die einzigen Kontakte", sagt Kathrin Schäfer. "Wir sind aber auch potenzielle Überträger des Coronavirus". Etwa 30 der 170 Kunden hätten deshalb zurzeit die Pflege abgesagt. Möglich sei das, weil derzeit auch viele Angehörige daheim sind, nicht arbeiten oder im Homeoffice arbeiten. So könnten sie auch die Pflege erledigen.
GRÖSSENORDNUNG
Der Großteil der pflegebedürftigen Menschen wird in Deutschland nicht in Heimen gepflegt, sondern zu Hause. Vor allem von den Angehörigen, aber auch von ambulanten Pflegediensten.
Im Lahn-Dill-Kreis gibt es laut dem noch aktuellen, vor drei Jahren veröffentlichten Altenhilfeplan rund 40 ambulante Pflegedienste, die knapp 3600 Menschen versorgen, knapp ein Drittel aller Pflegebedürftigen im Kreis.
Aber es gebe auch Menschen, die die Pflege nicht absagen könnten. Menschen, deren Angehörige nicht in der Nähe lebten. Diabetiker, die nicht selbst Insulin spritzen könnten. Erkrankte, die ihre Medikamente nicht mehr selbst verwalten können. "Da müssen wir einfach hin."
Das bedeutet auch: Die Pfleger müssen sich und die Patienten vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen. So gilt Besuchsverbot in der Diakoniestation Herborn. Morgens und abends werden die Räume desinfiziert: "Handys, Türgriffe, Stühle, Tische - alles." Jedes Auto des Pflegedienstes ist mit Desinfektionstüchern ausgestattet; nach jedem Patientenbesuch sollen Lenkrad, Bremshebel, Schaltknauf, alles, was mit den Händen berührt wird, desinfiziert werden. Und den Mundschutz lassen die Pfleger meist auch während der Fahrt von einem Patienten zum nächsten auf und auf diese Weise möglichst unberührt - damit sie sich nicht ständig ins Gesicht fassen. "Wir wollen unsere Patienten schützen", sagt Kathrin Schäfer.
Dafür benötigten die Pfleger aber auch richtige Schutzmasken. Die selbst genähten Mundschutze nennt Schäfer nur "Mund-Nasen-Abdeckung", den Begriff "Schutz" will sie nicht verwenden. "Wir haben noch Restbestände an Mundschutz, aber nicht die richtigen Atemschutzmasken, die wir zum effektiven Schutz bräuchten. Sie sind deutschlandweit nicht mehr zu bekommen. Wir haben etwa zehn Anbieter abtelefoniert. Die Antworten: mindestens ein Jahr Lieferzeit. Und beim Desinfektionsmittel: sechs bis neun Monate Lieferzeit." Auch Einweghandschuhe und -kittel würden knapp, sagt sie.
Die Pflegedienstleiterin hätte sich mehr Unterstützung gewünscht. Vom Bundesgesundheitsminister. Sie habe noch seine Aussage "Wir sind gut vorbereitet" in den Ohren. "Aber jetzt werden wir darauf verwiesen, dass wir uns selbst kümmern müssen. Da fühlt man sich alleine gelassen."
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Die gute Nachricht für Kathrin Schäfer: Die Diakonie Hessen habe inzwischen ein großes Kontingent an Atemschutzmasken und Desinfektion aufgekauft und verteile es nun bundesweit an die Diakoniestationen. "Darüber sind wir unglaublich froh. Diese richtigen Masken geben uns Sicherheit." Der beste Schutz für die Patienten sei jedoch, den Kontakt zu anderen Menschen weitgehend zu vermeiden, also die soziale Isolation in den eigenen vier Wänden. Aber so bekämen sie zu ihrer Sicherheit auch kaum noch Besuch von den Angehörigen. Den Pflegern gegenüber mache sich dann der Redebedarf bemerkbar. Erst diese Woche habe eine Patientin am Telefon geweint und erzählt, ihr gehe es mit dieser Einsamkeit so schlecht. "Schlimm. Der Kontakt fehlt diesen Menschen kolossal. Viele haben niemanden, mit dem sie jetzt reden können und leiden darunter." Kathrin Schäfer: "Wir Schwestern versuchen dann auch, sie psychisch aufzubauen, und auf Wunsch sprechen wir auch ein Gebet mit ihnen."
Bislang gibt es nach ihren Angaben unter den Patienten und Pflegern der Diakoniestation keine Corona-Infektionen. Die Pflegedienstleiterin nimmt dennoch vermehrten Gesprächsbedarf unter ihren Kolleginnen und Kollegen wahr: "Was ist, wenn ein Patient positiv getestet wird? Was ist, wenn sich die Pfleger auf ihren Touren selbst anstecken? Natürlich haben sie auch Ängste um ihre eigene Gesundheit." Auch die Erkrankungen in dem Herborner Pflegeheim seien Gesprächsthema. "Das beschäftigt auch uns."
Was wäre, wenn der Pflegedienst unter Quarantäne stünde?
Auch in den Telefonaten mit Angehörigen von Pflegebedürftigen drehe sich alles um das Thema Corona. "Sie haben viele Verständnisfragen, und, klar, sie haben Angst um ihre Eltern oder Großeltern."
Und was wäre, wenn sich das Coronavirus unter den Pflegern ausbreiten und der Pflegedienst unter Quarantäne gestellt würde? Wer versorgt dann die Patienten? "Wir haben einen Notfallplan", sagt Kathrin Schäfer. "Wir haben eine Liste mit Patienten, die unweigerlich versorgt werden müssen. Diese Liste würden wir einem anderen Pflegedienst übergeben." Die Diakoniestation habe sich mit anderen Pflegediensten vernetzt, und im Notfall würde ein Dienst für den anderen einspringen und diese Patienten betreuen.
Was für die Diakoniestation derzeit kein Thema ist: abgereiste und deswegen fehlende Pflegekräfte aus Osteuropa. Schäfer weiß: "Viele 24-Stunden-Haushaltskräfte sind aus Osteuropa." Auch sie habe gehört, dass wegen der Corona-Krise und den Grenzschließungen viele von ihnen in ihre Heimatländer abgereist seien. "Ich kenne aber hier keine Patienten, die deshalb jetzt alleine zu Hause ohne Hilfe sind." Haushaltskräfte hätten das wohl untereinander geregelt und seien für fehlende Kolleginnen eingesprungen.
Am Ende des Gesprächs mit dieser Zeitung will Kathrin Schäfer unbedingt noch was loswerden: "Ich hoffe, wenn die Corona-Krise vorbei ist, dass dann nicht vergessen wird, wie wichtig die Schwestern und Pfleger sind. Das darf diesmal nicht schon wieder passieren."