Spektakuläre Auftritte, starke Zeichen, dummes Zeug, närrische Nebenwirkungen und ein Oppositioneller, der auf Russlands schnelle Niederlage hofft – das sind die Themen des Tages.
Es bleibt nichts anderes übrig heute, als spektakuläre Auftritte zum Thema zu machen, geglückte und weniger geglückte. Die Titelseite unserer Zeitungen lässt in ihrer extremen Spreizung zusammenwachsen, was wahrscheinlich wirklich irgendwie zusammengehört. Oben die Fastnachtsumzüge mit ihrem pseudo-militärischen (ich weiß: Persiflage!) Klimbim, unten der US-Präsident in Kyiw. Das ist so bizarr und bezeichnend zugleich, dass ich fastnachtsgemäß die Hemmungen fallenlasse: Vom Kampf gegen Massenmörder geht es im Newsletter über den Frohsinn auf der Straße zurück zu einem bisschen Gewalt unter Spaßvögeln.
TOP 3 DES TAGES
Starkes Zeichen
Bevor heroische Gesten Thema werden, soll ein sogenannter Thread Einblicke geben, wie es anderswo an den tollen Tagen zugeht. Ein pro-ukrainischer Autor hat am Wochenende die Lage an der Ostfront des Krieges in der Ukraine zusammengefasst – und zwar Straße um Straße, Häuserzug um Häuserzug. Das detailreiche Bild vom Kämpfen und Krepieren geht ins Unerträgliche, gerade wenn man bedenkt: Hier führt ein Verbrecher Krieg einzig für das, was er für Größe und geschichtliche Bedeutung hält.
Das sollte jeder bedenken, der über den Besuch von Joe Biden in der Ukraine urteilt. Ein theatralischer Auftritt, gewiss, aber in mehrfacher Hinsicht ein gelungener Theatercoup kurz vor dem nächsten Schauerstück, das Wladimir Putin auf der Weltbühne geben will. Über Manifest-Tintenpisser an dieser Stelle kein Wort, lieber ein paar Worte von denen, die es besser wissen. Militärexperte Carlo Masala etwa kehrt in aller Kürze den schon immer dämlichen Spruch um, Frieden und Sicherheit könne es nur *mit* Russland geben.
Und der in Lagerhaft gehaltene russische Oppositionelle Alexei Nawalny erklärt, warum eine möglichst rasche Niederlage (noch) das Beste sei, was Russland passieren könne. Mich erstaunt stets aufs Neue, welche Freiheit des Worts dieser Mann hat, dem Putins Regime nach dem Leben trachtet.
Dummes Zeug
Auf eine spezifische Art ist auch Daniele Ganser mutig. Der Schweizer gilt als kluger und gebildeter Mann – wer’s nicht glaubt, schaue sich bloß mal die Bücherwand im Hintergrund dieses Videos an. Wie man Bücher in ein Regal räumt, hat Ganser aber offensichtlich keiner erklärt, und so sind ausgerechnet Titel eines gewissen Daniele Ganser mit der Titelseite in Richtung Betrachter exponiert.
Ihr Inhalt lässt sich ganz gut so zusammenfassen: Die USA sind an allem schuld. Zum Beispiel an der Sprengung der Gasleitung „Nordstream II“ in der Ostsee im Herbst 2022. Davon handelt das Video, das sich als Tonspur zur vorgeblichen Enthüllung des US-Journalisten Seymour Hersh entpuppt.
So etwas darf man verbreiten, und Ganser tut es ja auch. In eine in der Tat unübersichtliche Lage hinein raunt der promovierte Historiker seine Mutmaßungen, seine Fragen, die doch in Wahrheit Gewissheiten sind: Der Feind ist immer jenseits des Großen Teichs zu verorten. Von ein paar blöden Fakten wie einem russischen Angriffskrieg lässt sich dieses investigative Irrlicht seine schöne Meinung nicht kaputtmachen.
Hatte ich erwähnt, dass Daniele Ganser vor Kurzem in meiner Nachbarstadt Bensheim im stadteigenen Bürgerhaus aufgetreten ist? Ah, hatte ich. Gut, dann Tusch und weiter.
Einfach zu laut
Im Gegensatz zu den Umzügen in Düsseldorf, Köln oder Mainz bleiben diejenigen vor meiner Haustür fast ausnahmslos frei von politischen Statements. Recht haben sie, die Lokal-Narren. Mit der Kunst der Wagenbauer in den Metropolen können sie ohnehin nicht mithalten, und was Heppenheimer Bottschloren oder badische Guggemusiker von Putin oder der katholischen Kirche halten, kann man sich auch so denken, ohne es wissen zu müssen.
Nun, der Heppenheimer Umzug zog auch ohne Politik die Massen an, so wie es derjenige in meiner Heimatstadt Lorsch in wenigen Stunden tun wird. Stoisch nehmen die Bewohner hier wie dort den Ansturm der „Damalus“ hin: der Gäste aus Darmstadt, Mannheim und Ludwigshafen, die bevorzugt vor Einfahrten parken und erstaunliche Kampftechniken für den Zweck entwickelt haben, möglichst viele Bonbons und Eisportionen zu ergattern.
Was wirklich stört, ist etwas anderes. In Heppenheim gehörten die ersten zwei Drittel des Umzugs den Traditionsgruppen, es folgte ein Stelldichein der treffend als „Saufwagen“ bezeichneten Beiträge: Jugendliche, die sich an elektronischem Lärm und schlechten Getränken laben und denen das Spalier an der Umzugsstrecke herzlich egal ist. Döpdöpdöööp!</DnmLink>
ZU GUTER LETZT
Da simmer dabei!
Immer noch besser, so mag man einwenden, als solche Gruppen, die es erst gar nicht bis zu den Umzügen schaffen. Im rückwärtigen Gebiet saufen, randalieren, defäkieren: Auch das prägt das Bild der Fassenacht, die beileibe nicht jeder vermisst hatte in den vergangenen Jahren.
Diejenigen, die am Sonntagabend in Flörsheim am Main die Fäuste fliegen ließen, schienen immerhin grundsätzlich interessiert an der Veranstaltung zu sein. Sie wollten aufs Festgelände, durften wegen Überfüllung nicht, und so ergab eins das andere. Ein „Ursprungssachverhalt“ eben, wie es sich die Sprachkomiker der Ordnungsbehörden ungelenk zusammenreimten. Acht Strafanzeigen, zwei Festnahmen und ein verletzter Polizist sind ein besonders blödes Zeichen in einer Zeit, in der Ablenkung von nackter Gewalt Not tut.
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