Schüler haben ChatGPT auf dem Smartphone – so sitzen Text- und Bildroboter mit im Klassenzimmer. Was bedeutet das für Schule, Lehrer, ihren Unterricht und Hausaufgaben?
Wiesbaden/Mainz. Peter Thomé unterrichtet am Gutenberg-Gymnasiums in Mainz Bio und Chemie. ChatGPT gehört für ihn inzwischen zum Berufsalltag. In seinem Bio-Oberstufenkurs hat er neulich mit den Schülern und KI einen komplexen Arbeitsauftrag zum Thema Populationsökologie entwickelt; ChatGPT war über seinen Lehreraccount am Smartboard dabei. Zu Hause haben die Schüler die Aufgabenstellung dann weiterentwickelt.
Einfach gestrickte Hausaufgaben verlieren ihren Sinn
Thomé ist an seiner Schule verantwortlich für Schulentwicklung im Bereich Digitalisierung – und er ist ein Beispiel dafür, dass das Thema KI in der Schulwelt angekommen ist. Er sieht Vorteile, aber auch Probleme. KI bringe „eine klare Arbeitsveränderung in der Schule“. Zum Beispiel einfach gestrickte Hausaufgaben: „Wir können in der 10./11. Klasse nicht mehr damit rechnen, dass die Schüler es selbst gemacht haben.“
Auch die Kultus-Bürokratie beschäftigt sich intensiv mit KI. Vor einigen Tagen legte das hessische Kultusministerium eine Handreichung „Künstliche Intelligenz (KI) in Schule und Unterricht“ vor. In Rheinland-Pfalz gibt es eine Fülle vergleichbarer Informationen und Hilfen, abgelegt auf dem Bildungsserver des Landes. Zum Problem der Hausaufgaben wird zum Beispiel empfohlen: komplexere Aufgaben stellen und dabei die Nutzung von künstlicher Intelligenz einbeziehen.
Doch wie sieht es in den Schulen in der Fläche aus? Gaston Liepach, Landesschulsprecher in Hessen, sieht noch viel Luft nach oben. „Wir begrüßen zwar die Initiative des Kultusministeriums, die Lehrkräfte etwas aufzuklären“, sagt er. Das ändere jedoch nicht das statische Unterrichtsmodell. „Wir müssen für einen guten Umgang mit KI den Unterricht und die Prüfungen neu denken“, fordert Liepach. Die aktuellen Formate seien nicht für Künstliche Intelligenz geeignet.
Die technische Ausstattung vieler Schulen lässt zu wünschen übrig
Hinzu komme die mangelnde technische Ausstattung vieler Schulen. Liepach vergibt hier – auf Hessen bezogen – eine glatte Sechs. Er fordert „digitale Endgeräte für alle, besonders für diejenigen, die sich keines leisten können“. Auch die Ertüchtigung der Klassenräume habe nach einem Schub in der Corona-Zeit inzwischen wieder „stark nachgelassen“. So wie Schule derzeit funktioniere, könne sie nicht mehr auf den späteren Alltag vorbereiten, mahnt Liepach.
Thomé beschäftigt auch das Thema Klausuren. „Wir müssen weiterhin Gerechtigkeit gewährleisten. Das geht nur, wenn wir Täuschungsversuche mit KI unterbinden.“ Dazu müsse man Smartphones und Smartwatches konsequent aus dem Klassenraum verbannen, wenn eine Klausur geschrieben wird.
Das Bildungsministerium in Mainz sieht das weniger kritisch: „Grundsätzlich sind Formen der Leistungsüberprüfung wie Klassenarbeiten, Kursarbeiten und mündliche Prüfungen nicht betroffen, weil ChatGPT als Hilfsmittel hier nur schwer zum Einsatz kommen kann“, teilte ein Sprecher mit. Thomé glaubt hingegen, dass man „in den Prüfungen von schriftlichen Dingen ein Stück weit wegkommen und mehr auf mündliche Prüfungsformate gehen“ müsse.
Schüler müssen lernen, Fake News zu erkennen
Großen Wert legen beide Bildungsministerien auf die Feststellung, dass es nicht genüge, den Schülern den Umgang mit KI beizubringen. Vielmehr gehe es darum, deren Funktionsweise zu hinterfragen und die Risiken aufzuzeigen – Stichwort: Fake News. Schüler müssten lernen, „sich von neuen Phänomenen nicht unreflektiert vereinnahmen zu lassen, Entwicklungen zu hinterfragen sowie potenzielle Vor- und Nachteile abzuwägen, um daraus eine kompetent begründete Entscheidung abzuleiten“, heißt es in der hessischen Handreichung. „Das Verständnis und die kompetente Nutzung von Kl-Textgeneratoren wird künftig zweifelsfrei zur Bildung in der digitalen Welt gehören“, wird in Mainz betont.
Die Ministerien und eine Avantgarde in den Schulen begreifen KI als Chance. Doch wird die große Mehrzahl der Lehrkräfte mitziehen? Vor Schulen und Pädagogen liege noch ein weiter Weg, glaubt Peter Holnick vom Institut für Medienpädagogik Hessen. „Wir müssen in Aktion kommen, die Lehrkräfte überzeugen“, sagt er. Das sei eine große Aufgabe der Fort- und Ausbildung, „da haben wir noch gar nicht richtig angefangen“.