Weniger Vorsorgeuntersuchungen, aber auch weniger "klassische Grippe-Fälle": Im UA-Interview spricht der Grävenwiesbacher Mediziner Dr. Josef Schlosser über negative, aber...
GRÄVENWIESBACH. GrävenwiesbachDie Corona-Pandemie beherrscht seit über einem Jahr unseren Alltag. Doch es gibt auch noch andere, gefährlichere, Krankheiten. Im Interview mit dem Usinger Anzeiger spricht der Grävenwiesbacher Mediziner Dr. Josef Schlosser über die Gefahren aufgeschobener Arztbesuche, die Perspektiven der Telemedizin und erläutert, warum das Coronavirus zumindest den Läusen den Garaus gemacht hat.
Immer wieder berichten Medien darüber, dass in diesen Corona-Zeiten Menschen aus Angst vor einer möglichen Corona-Infektion Arzt-Besuche aufschieben. Haben Sie diese Erfahrung auch gemacht?
Es ist natürlich nicht ganz einfach zu beurteilen, welche Patienten aufgrund der Pandemie nicht zur ärztlichen Untersuchung oder Beratung kommen, denn ich sehe diese Patienten ja nicht. Was wir in der aktuellen Situation feststellen können, ist eine deutliche Abnahme an Infektionskrankheiten sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern. So haben wir zum Beispiel nahezu keine Streptokokkeninfektionen, Pneumonien oder grippale Infekte, wobei jetzt in den Wintermonaten eigentlich der Höhepunkt für diese Erkrankungen wäre. Auch Lausbefall sehen wir diesen Winter in den Praxen nicht. In diesen Fällen denke ich, dass die Patienten die Praxis nicht aus Angst vor einer Coronainfektion nicht aufsuchen, sondern dass diese Erkrankungen aufgrund der gesetzlichen Pandemiemaßnahmen deutlich seltener auftreten. Die Akutfälle mit hohem Leidensdruck kommen auch weiterhin in die Praxis. Als Beispiel möchte ich hier ein akutes Gallensteinleiden nennen. Keiner versucht hier den Arzttermin hinauszögern, denn die Schmerzen sind hier oft unerträglich.
Und wie sieht es mit Vorsorgeuntersuchungen aus?
Da verhält es sich anders. Ich stelle fest, dass diese Untersuchung momentan mit der Begründung der Pandemie nicht durchgeführt werden wollen. So werden gynäkologische Untersuchung, dermatologische Untersuchung oder auch urologische oder internistische Untersuchungen wie zum Beispiel eine Koloskopie zur Vorsorge nicht wahrgenommen oder verschoben. Hier besteht die Gefahr, dass Tumorerkrankungen oder deren Vorstufen später festgestellt werden und damit die Behandlung dementsprechend schwieriger sein wird. Auch sogenannte Check-up-Untersuchungen werden von den Patienten momentan deutlich weniger terminiert.
Diese Untersuchungen sind sehr wichtig, weil hier die versteckten Volkskrankheiten festgestellt werden, die eigentlich keine Symptome zeigen, aber trotzdem auf Dauer gefährlich werden können. Als Beispiel möchte ich den Bluthochdruck oder den Diabetes mellitus nennen. Auch bei diesen Krankheiten ist es wichtig, eine Therapie so früh wie möglich einzuleiten. Denn auch zu Beginn einer Erkrankung können diese ohne Symptome zu Langzeitschäden führen, die mit einer verkürzten Lebenszeit einhergehen. Ebenfalls werden elektive Operationen hinausgezögert. Viele Menschen möchten momentan keine Hüft- oder Knieoperationen durchführen lassen, obwohl diese medizinisch indiziert sind. Auch in diesen Fällen ist durch ein zu langes Abwarten ein gesundheitlicher Nachteil zu erwarten.
Eine mögliche Alternative könnten Videosprechstunden sein. Was ist davon zu halten?
Telemedizin ist aus meiner Sicht sehr wichtig und vorteilhaft, hier ergeben sich viele Möglichkeiten. Andere Länder wie Norwegen sind da schon weiter. Aufgrund der teilweise großen Distanzen zum Arzt ist die Notwendigkeit dort allerdings auch wesentlich größer. Ich persönlich versuche schon seit Jahren, in meiner Praxis eine telemedizinische Infrastruktur zu schaffen. Hier gibt es aber sehr viele Probleme, die zu lösen sind. Der Datenschutz macht die Umsetzung sehr zeit- und kostenintensiv, der technischer Aufwand ist beträchtlich. Das Internet hinkt den Erfordernissen den technischen Möglichkeiten um Jahre hinterher und man muss auch die Frage der Vergütung ansprechen. Denn die Vergangenheit zeigte, dass effizienteres und praktikables Arbeiten nicht zu einer besseren, sondern eher zu einer schlechteren Vergütung führte. Wenn diese Probleme gelöst werden können, sehe ich in der Telemedizin ein hohes Potenzial und einen großen medizinischen Nutzen.