Blick zurück: Die letzten Kriegstage in Finsternthal

Im Keller des Gasthauses zum deutschen Hof überlebte Herbert Wischmann den Angriff der US-Truppen. Foto: Archiv Wischmann
© Archiv Wischmann

Herbert Wischmann erinnert sich an den dramatischen letzten Kriegstag in Finsternthal / US-Truppen stießen unverhofft auf schweren Widerstand.

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. Finsternthal (sai). 75 Jahre ist es nun her, dass der Zweite Weltkrieg beendet wurde, oft mit dramatischen Ereignissen, auch im Usinger Land. In einer kleinen Serie beleuchtet der Usinger Anzeiger die Geschehnisse und hat mit Zeitzeugen sowie mit den Archivaren der Heimat- und Geschichtsvereine gesprochen. Erhalten sind einige Zeitzeugenberichte insbesondere aus der Karwoche 1945. An manches erinnert sich Herbert Wischmann noch gut, obwohl er damals erst knapp vier Jahre alt war. Er hat im Laufe der letzten Jahrzehnte viele Zeitzeugenberichte und zum Teil Originaldokumente der US-Army gesammelt und somit das Geschehen sehr gut dokumentiert. Im Falle von Finsternthal hätte es, abgesehen von den schrecklichen Mitteilungen über gefallene Soldaten, die natürlich in den betroffenen Familien unsagbare Trauer auslösten, bei wenig dramatischen Ereignissen bleiben können, denn bis zur letzten Märzwoche 1945 war Finsternthal weitgehend vom Kriegsgeschehen und von militärischen Kampfhandlungen verschont geblieben. Und das wäre sicherlich auch so geblieben, Finsternthal hätte ohne jegliche Verluste oder Zerstörung den Krieg durchgestanden, wenn nicht hier ein deutsches "MG-Nest" eingerichtet worden wäre. Bis zum 30. März 1945 (Karfreitag), dem für Finsternthal letzten, dafür umso blutigeren Kriegstag, mussten lediglich nachts ab Mitte 1943 die Verdunklungen vor den Fenstern heruntergezogen werden, damit die über Finsternthal fliegenden Bomber, die nach Frankfurt oder weiter nach Schweinfurt unterwegs waren, das Dorf nicht bemerkten. "Ich denke aber, das war in wolkenlosen Vollmondnächten ohnehin zwecklos. Aber ein Dorf mit weniger als 200 Einwohnern war für die Bomber sicherlich kein lohnendes Ziel", vermutet Herbert Wischmann im Gespräch mit dem Usinger Anzeiger und fährt fort: "Gelegentlich kam es auch bei den Rückflügen der Bomberströme zu Bombenabwürfen im Riedelbacher Wald oder Feld. Grund: Die Maschinen konnten oder durften offensichtlich mit noch scharfen Bomben in ihren Heimatflughäfen in England nicht landen. In diesem Zusammenhang kann ich mich noch gut daran erinnern, dass mein Opa Gustav auf seinem Acker ,vor dem Wald im 'Riedelbacher Feld' immer wieder mal Explosionstrichter mit Erde aufgefüllt hat. Gleiches geschah auch im Wald durch den Forst. Ich gehe davon aus, dass in diesem Waldgebiet möglicherweise auch noch heute der eine oder andere unentdeckte Blindgänger liegt".

Am 25. März, also fünf Tage vor der Einnahme Finsternthals, hatte die 3. US Armee bei Boppard den Rhein überquert und trieb die Reste der 6. SS Gebirgsdivision "Nord" und Teile anderer versprengter Einheiten von Heer und Luftwaffe vor sich her. Über Limburg/Dietz und die B8 ging es weiter nach Brechen und Schwickerthausen, wo auch vorübergehend der Gefechtsstand der 6. SS Gebirgsdivision eingerichtet wurde.

Schutz in den Kellern

Am 28. März 1945 wurde der Gefechtsstand dann zum Egertshammer hin verlegt. Zwischenzeitlich meldete sich der stellvertretende Kommandeur der Fahnenjunkerschule Weilburg mit 50 Offizieren und 600 jungen Offiziersanwärtern bei der 6. SS Gebirgsdivision "Nord", um diese im Abwehrkampf zu unterstützen. Aus diesen Reihen setzten sich auch dann die Verteidiger Finsternthals zusammen. Man weiß, dass zum Zeitpunkt fast alle umliegenden Ortschaften schon von den Amerikanern eingenommen waren. Am 30. März 1945 erfolgte starker Beschuss von Schmitten und Riedelbach her.

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Herbert Wischmann erzählt: "Die Dorfbevölkerung suchte Schutz in ihren Kellern. Ich saß zusammen mit meiner Mutter Fredegunde, meinen Großeltern Gustav und Berta Lehr, meiner Tante Hildegard, der ausgebombten Familie Friderichs, die in Frankfurt eine Karosseriewerkstatt hatte und einem jungen Polen namens Martin, der meinem Opa in der Landwirtschaft half, im Getränkekeller des ,Deutschen Hofes'. Als wir den Keller nach über sechs Stunden dann nachmittags verließen und hinauf in den Hof gingen, war dieser zum Teil über einen Meter hoch mit zerschossenem Dachgebälk, Ziegeln, Dachpappe und Dachlatten bedeckt. Wir verließen den Hof durch das hintere Tor und gelangten auf die ,Hintergasse' (heute Schmitter Straße). Und dann sah man erst das ganze Debakel. Übrigens muss wohl der Beschuss offensichtlich so stark gewesen sein, dass noch etwa fünf Jahre nach Kriegsende ganz einfach die Betondecke unserer Jauchegrube ohne jede Vorwarnung einbrach. Offensichtlich waren die seinerzeitigen Erschütterungen so stark gewesen, dass es zu Rissbildungen kam, die von außen nicht einsehbar waren. Zum Glück war kein Mensch in diesem Bereich, sodass lediglich die Decke der Grube wieder neu betoniert werden musste". In der Schmitter Straße versuchten zwei Feuerwehrleute der Pflichtfeuerwehr Finsternthal (Anmerkung Herbert Wischmann: Das waren ältere Männer, die jungen waren zu dieser Zeit alle im Krieg) das Anwesen Löw, in dem seinerzeit Emil und Lina Löw mit ihrer Familie wohnten (heute ist dort das Autohaus R. Löw), mit zwei Strahlrohren zu löschen. Gegenüber war das Anwesen von Emil und Liese Vollberg, das an die Familie von Lotte Jung mit Sohn Adie (Adolf) vermietet war. Im Keller dieses Anwesens hatte auch die Familie Jung vor dem Beschuss Schutz gesucht. "Beim Einrücken der Amerikaner kam es da wohl zu einem Missverständnis, denn ein US Soldat warf eine Handgranate in das Kellerloch und der Großvater von Adie Jung verstarb", berichtet Wischmann.

Eine weitere dramatische Szene spielte sich vor einer einfachen Hütte (heute steht an dieser Stelle zwischen Dorfgemeinschaftshaus und dem Anwesen Wick ein Holzhaus) ab, wie Wischmann einen Zeitzeugenbericht wiedergibt: "Die Hütte diente einem Herrn Jürgel aus Frankfurt als Wochenenddomizil. In dieser Hütte, so wurde mir berichtet, hatte ein junger deutscher Soldat Schutz gesucht. Als die US Soldaten in das Dorf einrückten, kam er mit erhobenen Händen, offensichtlich unbewaffnet, die Treppe herunter. Unten auf der Straße angekommen zog er plötzlich eine Pistole und wollte wohl schießen. Die Amis nahmen ihm die Pistole ab und haben ihn dann mit den Kolben ihrer Gewehre erschlagen". Gegenüber befand sich auf dem damals unbebauten Grundstück hinter dem Anwesen von Gustav und Anna Wick eine Wiese, auf der die US Truppen ihre im Kampf um Finsternthal gefallenen Kameraden sammelten. Wie viele das waren, ist unklar (Wischmann: "Obwohl ich mit einer US Reservistenvereinigung in Verbindung stehe ist es mir nicht gelungen, die Anzahl der im Kampf um unser Dorf gefallenen US Soldaten zu ermitteln"). Etliche gingen allerdings wohl auf das Konto eines deutschen Scharfschützen, der sich in einem Heuschober verschanzt hatte und von dort die US Soldaten, die aus Richtung Seelenberg (heute Platz für Grünabfälle) den Wald verließen, beschoss. Als die Amerikaner dann in das Dorf kamen, war eine der ersten Aufgaben, diesen Heuschober intensiv zu untersuchen. Sie stachen mit ihren Seitengewehren tief in das Heu, allerdings ohne ihn zu finden. "Jahre später kam eine Familie aus dem Saarland zur Kur in die Pension Haus Pfitzer am Bach (heute steht auf diesem Platz das neu gebaute Anwesen von Roger und Tanja Löw). Der Mann war Leiter einer Sparkasse in der Nähe von Saarbrücken. Es stellte sich heraus, dass er derjenige war, der den Amerikanern seinerzeit solche Probleme bereitet hatte. Er hatte sich an jenem Tag noch stundenlang im Heu versteckt und gelangte dann im Rahmen der letzten Kriegstage unversehrt ins Saarland", hat Wischmann herausgefunden.

Den amerikanischen Soldaten wurde das Vorrücken aber auch noch auf andere Weise schwer gemacht und forderte viele Tote: Auf der Wiese am Niedgesbach hatten die Deutschen taktisch klug ein MG-Nest platziert. "Dazu muss man wissen, dass der rechtsseitige Talgrund in Richtung Mauloff seinerzeit völlig frei von jeglichem Bewuchs war. Die Soldaten hatten also ein freies Schussfeld", merkt Wischmann dazu an. Klar also, dass die US-Army ihren Granatenbeschuss vor allem auf diesen Bereich konzentrierten, um besagtes MG-Nest unschädlich zu machen. Die angrenzenden Anwesen wurden durch den Beschuss stark beschädigt. Wie unter anderem die beiden Höfe Laubner/Engers (damals Vollberg und Ziemer). Eine oder mehrere Granate waren im Bereich des "Aale" (schmaler Durchgang) zwischen den beiden Häusern eingeschlagen mit dem Ergebnis, dass Teile der Vollberg'schen Hauswand in diesem Bereich einstürzten und in der Ziemer'schen Küche (heute ist dort das Bad) lagen. "Es war also ein heilloses Durcheinander", erinnert sich Wischmann. Auch das hölzerne Jagdhaus, das mit Dachpappe versehen war, brannte lichterloh. Man hörte das Prasseln der Flammen und dichte Rauchwolken zogen über das Dorf.

Ein zweites MG-Nest hatten die deutschen Soldaten im damaligen Gemüsegarten der Familie Flath platziert, um den Bereich zum "Gaadegrund" (Gartengrund) in Richtung Mauloff hin zu kontrollieren (Die Amerikaner kamen aus Richtung Riedelbach/Mauloff und Seelenberg/Schmitten, um Finsternthal einzunehmen). Auch dieses wurde natürlich heftig beschossen. In den entsprechenden US Kriegstagebüchern wird vermerkt: "Lebhafter Widerstand auf der Linie Finsternthal - Dorfweil - Schmitten. Wir hatten keine einfache Lage, hier gab es fanatischen Widerstand von Offiziersanwärtern". Und aus dem handgeschriebenen Kriegstagebuch eines am Kampf um Finsternthal teilnehmenden US-Soldaten: "Schwerer Widerstand! Daraufhin setzte die Kompanie Granatwerfer ein, die jedes Haus im Dorf unter Feuer nahm. Die schweren MGs beschossen den dichten Wald um das Dorf, um dem Feind alle Fluchtweg abzuschneiden. Nach sechs Stunden hatten wir das Dorf genommen".

Die Amerikaner trieben alle Finsternthaler Einwohner auf eine Wiese (Wischmann: "Das war früher eine Wiese, auf der mein Opa Gustav Lehr straßenseitig einige Apfelbäume stehen hatte. Heute gehört die Wiese einer Frau aus Süddeutschland und ist leider total verwildert".) Teils kamen sie aus den Kellern ihrer Häuser, einige kamen aber auch aus dem Wasserleitungsstollen im Mauloffer Berg, in dem sie Schutz gesucht hatten vor dem intensiven Beschuss der Amerikaner. Reinhold Müller berichtete später, dass ein kleiner Hund der Amerikaner, den diese als Maskottchen dabei hatten, die Finsternthaler dort entdeckt hatte. Und eine Situation hat Herbert Wischmann heute noch vor Augen, auch wenn er damals erst knapp vier Jahre alt war: Vor dem Transformator stand mit Gewehren im Anschlag eine Reihe von US Soldaten. Vor ihnen aufgereiht standen junge Finsternthaler Mädchen, auf die besagte Gewehre gerichtet waren, während die anderen US Soldaten das Dorf durchsuchten. Geschossen wurde dann zwar nicht, aber die sehr ernst gemeinte Drohgebärde war offensichtlich das Ergebnis der hartnäckigen Abwehr der "Verteidiger" des Dorfes. Danach zogen sie weiter - und für Finsternthal war der Krieg zu Ende.