Naturschutzzentrum Bergstraße: Veronika Lindmayer geht

Veronika Lindmayer ist das Gesicht des Naturschutzzentrums Bergstraße, das sie seit dessen Gründung im Jahr 2004 leitet.
© Thorsten Gutschalk

Seit über 18 Jahren leitet die Pädagogin die Einrichtung. Im Gespräch plaudert sie über Erfolge und Rückschläge - und erklärt, warum sie ihrer Nachfolgerin Mut zum Fehler wünscht.

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Kreis Bergstraße. Eine Dreiviertelstunde dauert das Gespräch mit Veronika Lindmayer schon. Und noch war kein einziges Mal von Pflanzen oder Tieren die Rede, die im Naturschutzzentrum Bergstraße (NZB) doch eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten. Aber Lindmayer, pädagogische Leiterin des Zentrums seit dessen Gründung im Jahr 2004, redet immer nur von Menschen. Von Kindern, die sich immer wieder für die Ferienspiele anmelden, weil sie auf dem Gelände im Bensheimer Westen das Gefühl von Freiheit und Gemeinschaft finden. Von Eltern, die einen erweiterten Bio-Unterricht mit Lernerfolgen erwarten. Von Jugendlichen, die als Kind zum ersten Mal zu den Ferienspielen kamen und die heute als Assistenten mit im Team sind. Vom Betreiber der nahegelegenen Kiesgrube, mit dem es in den Anfangsjahren etliche Konflikte gab, die inzwischen in einer harmonischen Nachbarschaft aufgelöst sind. Und von Mitarbeitern, die Lindmayer anfangs überforderte, weil sie mit ihren Ideen immer ein paar Schritte voraus war. „Ich bin erst in den letzten Jahren eine gute Chefin geworden“, urteilt sie über sich selbst.

Damit ist jetzt Schluss. Die Leiterin des Naturschutzzentrums geht zum Jahresende in den Ruhestand, der eigentlich schon im August an der Reihe gewesen wäre. Aber weil die Nachfolgerin Kerstin Jacobs erst im Januar 2023 antritt, hat sie noch ein paar Monate draufgelegt. Und wenn sie im Gespräch zurückblickt, wird klar, wie eng Mensch und Natur für sie zusammengehören. „Mein größtes Ziel ist es, Naturverständnis zu wecken“, erklärt sie. „Aber ich kann nur im Einklang mit der Natur sein, wenn ich bereit bin, wahrzunehmen.“

Natürlich könnte sie über jedes Exponat im Bio-Diversitäts-Regal, das im großen Saal des NZB steht, aus dem Stand einen Vortrag halten. Und zwar einen, der die Zuhörer erzählend mitnimmt. Auch wenn sie Referenten für Vorträge verpflichtete, achtete sie darauf, dass es nicht nur um Lurch oder Ameise geht, sondern um einen ganzheitlichen Blick auf Natur und Mensch. Wahrscheinlich hätte sie das selbst nicht so formuliert, als sie gebeten wurde, ein pädagogisches Konzept für das zu gründende NZB zu entwickeln. Theorie ist nicht unbedingt ihre Sache, „ich lebe es lieber“, sagt sie. Und so hat sich in der tätigen Praxis die Konzeption mit dem Zentrum entwickelt, dessen Gelände erobert und kultiviert wurde. Aus der Brache ist mit Naturteich und überdachter Feuerstelle eine Landschaft entstanden, die einerseits kultiviert wirkt, andererseits der Natur ihr Recht lässt.

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Mittendrin ist ein Blüh- und Nutzgarten, „für die einen sieht er wild und unordentlich aus, für die anderen wild und schön.“ Dabei stand das Gärtnern anfangs gar nicht im Fokus der Arbeit. Doch dann war auf einmal Helga da, die Bio-Landwirtin aus Zotzenbach, die nach einer schweren Erkrankung den Hof aufgeben musste und ihre Erfahrungen weitergeben wollte. Nach ihrem Rat entstand der Bauerngarten, der jetzt mit Unterstützung von „Echo hilft!“ für Kita- und Grundschulkinder erweitert werden soll.

Mit dem Gelände entwickelten sich auch die Aufgaben. Heute füllt das NZB Jahr für Jahr einen dicken Veranstaltungskalender mit Angeboten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Aber der Weg dorthin war keine schnurgerade Erfolgslinie. Lindmayer erinnert sich auch an Enttäuschungen und Rückschläge, an Reibungspunkte mit den Gesellschaftern, an die Zeit, in der Jugendliche das Gelände nachts für ihre Treffen entdeckten, Zerstörung und Müll hinterließen. Auch hier fand die Leiterin die einfachste Lösung: Sie suchte die Verursacher auf und ging ins Gespräch. Am nächsten Morgen waren die hässlichen Hinterlassenschaften weggeräumt.

Die Liebe zur Natur hat Lindmayer seit der Kindheit an den fränkischen Mainwiesen begleitet. Und auch der Drang nach Freiheit. Dem Kindergarten kehrte sie nach einer Woche den Rücken, weil sie es unpassend fand, dass alle alles zur gleichen Zeit tun sollten. Später wurde sie selbst Erzieherin und außerdem Familientherapeutin, eine Qualifikation, die sie auch im NZB einsetzen konnte. Lindmayer erkennt, wenn ein Kind mit Problemen kommt. Und sie findet die richtige Ansprache, um Familien miteinander ins Gespräch zu bringen.

Um den Einsatz für unsere Natur geht es in der neuen „Echo hilft!“-Aktion.
Um den Einsatz für unsere Natur geht es in der neuen „Echo hilft!“-Aktion.
© VRM

In „Helgas Bauerngarten“, der mit den erhofften Spenden der Aktion „Echo hilft!“ erweitert und erneuert wird, setzt Veronika Lindmayer große Hoffnungen. „Das wird ein Traumgarten“, schwärmt sie schon heute, „und ich bin dankbar für jeden Cent, mit dem wir Träume fürs Naturschutzzentrum erfüllen können.“ Und wie ein Garten bewirtschaftet wird, sagt auch etwas über die Gärtner aus, findet sie: „Die einen wühlen gerne, die anderen mögen das Blühen.“

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Und wie ist es bei ihr selbst? „Ich vergesse oft, zu ernten“, sagt Lindmayer und lacht. Im übertragenen Sinn fährt sie jetzt die Ernte ein für ihre Arbeit im Naturschutzzentrum, das ihrer Nachfolgerin noch viele Entwicklungsmöglichkeiten bietet. „Dieser Schatz ist noch nicht zur Hälfte gehoben“, sagt Lindmayer. Man müsse nur die Neugier wachhalten, und auch den Fehler zulassen: „Ich lobe den Fehler, sonst wagt man nichts.“ Und dann sagt sie noch einen Satz, mit dem man wahrscheinlich beim Wirtschafts-Abi durchfällt, den man aber in dieser Einrichtung als Erfolgsrezept lesen kann: „Man muss mehr geben, als man zurückbekommt. Dann lohnt es sich.“