EU-Embargo: Russische Lkw stranden in Darmstadt-Dieburg

aus Krieg in der Ukraine

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An der Otto-Hahn-Straße im Gewerbegebiet von Groß-Umstadt warten Lkw-Fahrer auf Abfertigung bei der Firma Fiege. Foto: Guido Schiek
© Guido Schiek

Kurz vor dem Einfuhrstopp für russische Reifen müssen Fahrer tagelang auf ihre Abfertigung bei Fiege warten. Ohne Trinkwasser oder Toiletten. Inzwischen ist die Polizei involviert.

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DARMSTADT-DIEBURG. Der Ukraine-Krieg macht sich längst auch im Landkreis Darmstadt-Dieburg bemerkbar. Ein besonders drastischer Fall spielt sich derzeit im Gewerbegebiet von Otzberg-Lengfeld ab: Seit Tagen parken dort am Straßenrand des Reinhard-Müller-Rings Dutzende Lastwagen mit osteuropäischen Kennzeichen, deren Fahrer in den Führerhäusern auf ihre Abfertigung warten. Auch in Groß-Umstadt setzt sich das Lkw-Chaos im Gewerbegebiet rund um die Otto-Hahn-Straße fort.

„Eigentlich kennen wir die Problematik, dass im Industriegebiet Lengfeld unkontrolliert geparkt wird“, gibt Otzbergs Bürgermeister Matthias Weber (parteilos) auf Anfrage dieser Redaktion zu verstehen. „Doch so schlimm war es noch nie.“ Das Ziel der Fahrer: das Logistik-Lager der Firma Fiege, um Reifen aus Russland anzuliefern.

"Unhaltbare Situation für alle Beteiligten"

Doch es sind zu viele auf einmal, „teilweise stehen die Lkws in Dreier-Reihen, sodass die Fahrzeuge anderer Firmen überhaupt nicht mehr durchkommen“, berichtet Weber, den inzwischen massive Beschwerden von Gewerbetreibenden erreichen, die ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen könnten. „Das ist eine unhaltbare Situation für alle Beteiligten – auch für die betroffenen Fahrer. Sie bitten bei den Betrieben im Gewerbegebiet um Wasser“, stellt der Otzberger Bürgermeister die dramatische Situation dar. Von fehlenden Toiletten ganz zu schweigen, „da muss man nur mal auf den Hundeplatz schauen“, meint Weber und fordert: „Ich erwarte von der Firma Fiege, dass sie Platz auf ihrem Firmengelände in Otzberg oder auch in Dieburg schafft.“

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Die Firma Fiege Logistik betreibt seit 2015 am Standort Otzberg die Pkw-Reifenlogistik für den finnischen Reifenhersteller Nokian Tyres, der unter anderem ein Werk im russischen St. Petersburg betreibt. Von Otzberg aus versorgt Fiege die Händler in Deutschland sowie in mehreren europäischen Ländern mit den Reifen des finnischen Herstellers. Vom Standort in Dieburg aus hat Fiege die Logistik für Produktgruppen der Pirelli Deutschland übernommen.

Über 50 Lkws pro Tag

Im Gespräch mit dem ECHO bestätigt Fiege die aktuelle Problematik im Landkreis Darmstadt-Dieburg: „Hintergrund für die Situation sind Reifenlieferungen aus Russland, die aktuell in unser Logistikzentrum in Otzberg geliefert werden“, erklärt Pressesprecher Tobias Jöhren.

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Das erhöhte Aufkommen an Lkws sei die Folge von EU-Sanktionen gegen Russland im Zuge des Ukraine-Kriegs, die auch die Einfuhr von in Russland produzierten Reifen betreffen. „Die aktuell noch gültige Übergangsfrist endet am 10. Juli. Daher versucht unser Kunde am Standort derzeit, so viele Reifen aus Russland nach Deutschland zu importieren wie möglich“, erläutert Jöhren. Das Problem betreffe ausschließlich den Standort in Otzberg. „Aufgrund von Verzögerungen an den Grenzen zur EU sind die Lkws in einem Schwung und nicht wie sonst üblich zeitgenau getaktet angekommen“, erläutert der Firmensprecher. Regulär kämen in Otzberg täglich bis zu 16 Lkws an, um ihre Ware bei Fiege anzuliefern, „in der Spitze hatten wir jetzt allerdings über 50 Anmeldungen an einem Tag“, so Jöhren.

Durch das Chaos, das inzwischen in den Gewerbegebieten herrscht, ist inzwischen auch die Polizei involviert: „Es ist dort regelmäßig eine Streife vor Ort und wir behalten gemeinsam mit dem Ordnungsamt der Gemeinde Otzberg die Situation im Auge“, erklärt Kathy Rosenberger, Sprecherin des Polizeipräsidiums Südhessen. Darüber hinaus sei die Firma Fiege angehalten, die Abfertigungsvorgänge für die betroffenen Lkws anzupassen. Zudem würden aktuell Optionen geprüft, die dazu beitragen könnten, die Situation in den Griff zu bekommen. „Das können freie Flächen von anderen Firmen sein, die für kurze Zeit temporär zum Parken genutzt werden. Oder bestehende Halteverbote werden vorübergehend aufgehoben“, so Rosenberger.

Fahrer sind ohne Duschen und Toiletten

In Groß-Umstadt, wo ebenfalls zeitweise bis zu 40 Lkws im Gewerbegebiet in der Otto-Hahn-Straße gestrandet sind, hat man zwischenzeitlich Hilfe organisiert. Aus Spenden finanziert hat die Stadtverwaltung den Fahrern Zehnerkarten für das Freibad organisiert, damit sie duschen können, berichtet Bürgermeister René Kirch (unabhängig). Umliegende Unternehmer hätten die Fahrer mit Trinkwasser versorgt, auch eine mobile Toilette stehe zur Verfügung. Insgesamt verhielten sich die Fahrer sehr freundlich und ordentlich. „Wir bleiben an dem Thema dran und werden den Kontakt zu den verantwortlichen Firmen halten, um gegebenenfalls weitere Hilfe für die Fahrer über die Firmen zu organisieren“, versichert Kirch.

Inzwischen arbeitet die Firma Fiege an der Lösung des Problems: „Wir sind zuversichtlich, dass sich die Situation zeitnah entspannen wird“, erklärt der Fiege-Sprecher. Bis dahin würden die Fahrer gebeten, nicht direkt in die Gewerbegebiete rund um Otzberg zu fahren, sondern erst einmal Autobahn-Raststätten anzusteuern, wo auch sanitäre Anlagen und Duschen vorhanden seien, und dort auf einen Abfertigungstermin zu warten. „Darüber hinaus arbeiten wir in unseren Lagern am absoluten Limit. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben auch an Fronleichnam gearbeitet und werden es auch am Samstag tun, um die Lkws so schnell wie möglich leer zu bekommen“, betont der Firmensprecher.