Alle Tonlagen: Kabarettist Jochen Malmsheimer in der Gießener...

Raumgreifender Sprachkünstler: Jochen Malmsheimer.  Foto: Wißner

Der Bochumer Kabarettist Jochen Malmsheimer ist ein Meister darin, den Rohstoff Sprache in alle Richtungen zu kneten, zu dehnen und zu wenden - wie er jetzt in Gießen bewies.

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GIESSEN. Arbeitete Jochen Malmsheimer als Bäcker, würden seine Teigfladen ganz sicher nicht als profane Brötchen enden. Der Bochumer wäre vielmehr ein Mann der elegant geschwungenen Brezel, der für besondere Anlässe auch die ein oder andere Festtagstorte im Sortiment hat. Umso besser, dass der 56-Jährige seine Brötchen auf der Bühne verdient - denn so zeigt er meisterlich, wie sich der Rohstoff Sprache in alle Richtungen kneten, dehnen und wenden lässt. Am Montagabend gastierte der aktuelle Deutsche Kabarettpreisträger in der gut gefüllten Gießener Kongresshalle und packte dabei vor allem den Wahnsinn des Alltags in pointierte Sätze. Eine sprachliche Sahnetorte gab es obendrein, doch dazu später mehr.

Dabei begann Malmsheimer sein Programm zunächst thematisch eher wenig ungewöhnlich: mit dem Belauschen der Jugend. In diesem Falle folgte er seinem im Teenageralter steckenden Sohn ("Im Würgegriff der körperlichen Pubertät"), der in den Zickenkrieg zweier gleichaltriger Mädchen geraten war. Höhepunkt dieser verbalen Auseinandersetzung war der Imperativ "Jetzt chill doch mal dein Leben!", den der fassungslose Vater auf seinen Bedeutungsgehalt hin in alle Richtungen abklopfte. Sprache ist eben überall, wenn auch in den verschiedensten Formen und Formaten.

Malmsheimer selbst hat es aber vor allem die pathetische Kraft des biblischen Ausdrucks angetan. Und der lässt sich überraschenderweise auch auf vermeintlich banale Themenfelder anwenden - etwa den Sitz einer Hose. Mit welchem Furor er nun also das von der Mode diktierte Herabwandern des Kleidungsstücks in immer problematische Körperzonen beschrieb, das zeugte von der großen Kunst seiner Wortjonglage.

Wie dem sympathischen Kabarettisten überhaupt attestiert werden kann, in seinem rund zweistündigen, ungemein temporeichen Auftritt nicht eine einzige Plattitüde zu benötigen. Stattdessen erwies er sich als Sprachkomponist, dem die lauten wie die leisen Töne gleichermaßen zur Verfügung stehen. Spielend wechselte er vom sofort zündenden Kalauer zum hintersinnigen Schachtelsatz - und wieder zurück. Und er beherrscht nicht nur den Bibelsound, sondern liebt auch den Zungenschlag seiner Heimat: "Einmal Pommes mit Alles, heißt das bei uns." Zudem bekannte der Bochumer, "keine Kenne zu haben", aber doch immerhin "eine Ahne". Solchermaßen instinktsicher gelang es ihm in kurzen Zwischenstücken, die klassischen Gegner des Kabaretts abzuwatschen - ob AfD, Trump oder Brexiteers.

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Aber er kann eben auch ganz anders und noch besser. So lieferte Malmsheimer schließlich sein Meisterstück, als er das Publikum am Ende des Programms mit nach Mannheim nahm, in die Stadt also, in der das Institut für Deutsche Sprache seinen Sitz hat. Hier ließ er alle in Grimms Deutschem Wörterbuch vorhandenen Begriffe von A bis Z in einer nächtlichen Sitzung zusammenkommen - als sprechende Karteikarten. Unter dem Vorsitz eines "Sprachschatzmeisters" haben sie nun zu befinden: Findet "chillen" Eingang in die heiligen Hallen? Die von "Tradition" und "Geschichte" keifende "Flurwoche" stellt sich natürlich quer - und bietet damit ein gar treffliches Bild für Deutschland im Frühjahr 2019.

Von Björn Gauges