Die Wege des Alten Friedhofs in Gießen sind besonders für Senioren und Menschen mit Behinderung schwer begehbar. Die Stadt sieht das auch so, sucht aber noch nach einem...
GIESSEN. Der Alte Friedhof mit all den sehenswerten Grabmalen und dem alten Baumbestand ist ein echtes Kleinod. Wer ihn betritt, lässt den Lärm der Straße und die Hektik des Alltags schnell hinter sich. Das um 1530 unter Philipp dem Großmütigen angelegte Areal am Nahrungsberg ist also nicht nur ein Spiegel der Stadtgeschichte und somit kunst- und kulturhistorisch überaus spannend, sondern vor allem eine beliebte Parkanlage, die Gießener wie auswärtige Gäste gerne für Spaziergänge aufsuchen. "Jung und Alt nutzen diesen innenstadtnahen grünen Fleck für Momente der Ruhe und Entspannung", ist beispielsweise auf der Internetseite von "Gießen entdecken" zu lesen. Allerdings gibt es einen Schönheitsfehler.
In einem Leserbrief hatte Bärbel Irmer jüngst diesen Ort ebenfalls als zu jeder Jahreszeit gepflegte Oase gepriesen. Den Nachteil, der ihr nach dem Besuch eines Gottesdienstes in der Lutherkapelle wieder sehr bewusst geworden sei, skizziert sie darin so: "Ich bin gehbehindert, gehe mit einem Rollator vom Bürgersteig Licher Straße in den Park und zur Kirche. Dieser Weg ist für mich und viele Behinderte eine Katastrophe. Mein Eindruck ist, dass dieser wunderschöne Park nur für Spaziergänger ohne Behinderung gedacht ist. Ich bin nicht dafür, diese Wege zu betonieren. Es existieren andere Möglichkeiten, sie für Rollstühle und Kinderwagen besser begehbar zu machen."
Holprig, uneben, steil
Unmittelbar nach der Veröffentlichung meldete sich zudem Lotti Kunz in der Redaktion, die von ähnlich "schlechten Erfahrungen" berichtet. Auch die 86-Jährige ist auf einen Rollator angewiesen und meidet daher inzwischen den Alten Friedhof, weil es ihr aufgrund der vielen Steine "sehr schwerfällt", über die Wege zu laufen. Die sind in der Tat ziemlich holprig und uneben, mitunter sehr abschüssig oder rutschig - und folglich unfallträchtig. Wünschen würde sie sich, so Lotti Kunz, dass sich dieser Zustand alsbald ändert. Ein berechtigtes Anliegen, pflichtet Kornelia Steller-Nass bei. "Wir sind natürlich immer bestrebt, Menschen mit Behinderung barrierefreie Zugänge zu ermöglichen", sagt die Vorsitzende des Gießener Arbeitskreises für Behinderte und stellvertretende Vorsitzende des städtischen Seniorenbeirates. Mit den zuständigen Ämtern sei diesbezüglich Kontakt aufgenommen worden, um sich das "Problem vor Ort anzuschauen und reagieren zu können". Es hätte jedoch schon längst etwas passiert sein können, meint wiederum der Vorsitzende des Behindertenbeirates, Sven Germann. In dem Gremium sei dieses Defizit jedenfalls bereits vor geraumer Zeit erörtert worden. Prinzipiell sei zu bedenken, "dass alles, was für Menschen mit Handicap gut ist, auch für Menschen ohne Behinderung gut ist".
Bei der Stadt wird die Notwendigkeit, hier Abhilfe schaffen zu müssen, übrigens gar nicht bestritten. Die Schilderungen der beiden Leserinnen "können wir gut nachvollziehen", versichert Pressesprecherin Claudia Boje auf Anfrage des Anzeigers. Die Wegeverhältnisse auf dem historischen Friedhof seien für Menschen mit Einschränkungen zweifellos problematisch. "Neben der Tatsache, dass es wassergebundene Decken sind - also keine 'betonierten', was sicher keiner wollen kann - kommt natürlich die Schwierigkeit hinzu, dass im Park selbst teilweise steile Wege vorhanden sind. Bei stärkerem Regen werden sie obendrein ausgespült: Das feine, weiche Material sammelt sich an tiefer gelegenen Punkten und trägt dann zu einer weiteren schlechteren Begehbarkeit mit Rollatoren und Rollstühlen bei", so Boje.
Das Gartenamt versuche seit Längerem, einen geeigneten Belag zu finden, mit dem alle Belange, auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Denkmalschutz, abgedeckt werden könnten. Leider sei das bisher noch nicht gelungen. Momentan werde ein neuer Anlauf mit dem sogenannten "Possehl-Belag" unternommen, wie er ebenfalls bei den Wegen in den Mühlengärten oder am Platz am Christoph-Rübsamen-Steg verwendet wurde.
Dabei handelt es sich um eine Oberflächenbeschichtung, die aus einem Bindemittel auf Basis von Reaktionsharzen besteht, in das ein hoch polierresistentes Gemisch aus feinen und groben Gesteinskörnungen eingestreut wird. Dadurch könne zum einen eine naturnahe Gestaltung sowie zum anderen selbst bei Regen und Nässe eine hohe Griffigkeit gewährleistet werden. Die Kosten für die Herstellung seien jedoch recht hoch, schränkt die Stadtsprecherin ein. Und zur Finanzierung seien noch keine Beschlüsse getroffen worden.
Von Benjamin Lemper