Autokratische Vorgesetzte verringern Produktivität

(red). Zeitdruck im Arbeitsalltag führt nicht automatisch zu besseren Leistungen und erhöhter Motivation, sondern zieht im Gegenteil zahlreiche negative Effekte nach sich –...

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GIESSEN. (red). Zeitdruck im Arbeitsalltag führt nicht automatisch zu besseren Leistungen und erhöhter Motivation, sondern zieht im Gegenteil zahlreiche negative Effekte nach sich – und zwar auf vielen Ebenen. Führungskräfte, die chronisch in Eile sind, führen ihre Mitarbeiter autokratischer und erhöhen hierdurch den Stress der Angestellten. Dies zeigt eine Studie der Professur für Organisation und Personal der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU), die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Personnel Psychology“ erschienen ist und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert wurde.

Wenn Menschen am Arbeitsplatz stets schnell agieren, ständig Deadlines im Blick haben und Kollegen zu raschen Ergebnissen antreiben, wird dies gemeinhin als positiv betrachtet. Chronisch gehetzte Personen, die sich dementsprechend verhalten, gelangen daher häufiger in Positionen mit Führungsverantwortung. Die Forschergruppe um Dr. Roman Briker, Prof. Frank Walter (beide JLU) und Prof. Michael Cole (Texas Christian University) hat dieses positive Bild in ihrer Studie zu sich ständig in Eile befindenden Führungskräften kritisch hinterfragt. In der Studie „Hurry up! The role of supervisors’ time urgency and self‐perceived status for autocratic leadership and subordinates’ well‐being” haben die Forscher die Auswirkungen von chronischem Zeitdruck bei 60 Führungskräften und 277 ihrer direkten Mitarbeiter mithilfe einer quantitativen Befragung in verschiedenen Organisationen in ganz Deutschland untersucht. Gefragt wurden Führungskräfte und Beschäftigte unter anderem aus der verarbeitenden Industrie sowie aus dem Dienstleistungs- und dem Gesundheitssektor.

Keine Widerrede

Die Umfrage ergab, dass chronisch gehetzte Führungskräfte offensichtlich verstärkt dazu neigen, ihre Mitarbeiter herumzuscheuchen, sie nicht zu Wort kommen zu lassen und ihre Ideen abzuschmettern – sie also autokratisch beziehungsweise autoritär zu führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Führungskräfte das Gefühl haben, selbst einen besonders hohen Status zu genießen, wenn sie sich also stark respektiert oder gar bewundert fühlen. Die Wissenschaftler erklären diese Verhaltensweisen damit, dass chronisch gehetzte Führungskräfte das Gefühl hätten, Widerrede, Anmerkungen oder Ideen von Mitarbeitenden seien unnötige Zeitfresser, die es zu unterbinden gelte.

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„Durch das dominante und herrische Verhalten der chronisch gehetzten Führungskräfte entstehen wiederum Zeitdruck und Stress bei den Mitarbeitern“, erläutert Briker. Dies lasse sich dadurch erklären, dass solche Führungskräfte einerseits schnelle Ergebnisse und eine große Leistungsbereitschaft von ihren Mitarbeitenden erwarten, dass sie ihnen andererseits jedoch wenig Spielraum für eigene Ideen oder alternative Lösungsvorschläge oder -ansätze lassen.

„Die Unternehmen sollten Führungstrainings einsetzen, die darauf abzielen, dass chronisch gehetzte Führungskräfte lernen, partizipativer zu führen und ihre Mitarbeitenden verstärkt in Entscheidungen und Prozesse mit einzubeziehen statt ausschließlich auf schnelle Ergebnisse zu setzen“, lautet Brikers Fazit aus den Studienergebnissen. So ließen sich die beschriebenen negativen Konsequenzen weitgehend vermeiden. Außerdem sollten Organisationen und Unternehmen möglichst auf flache Hierarchien setzen. Dies trage zu einer besseren Selbsteinschätzung von Führungskräften bei und verhindere, dass diese sich übermäßig bewundert fühlen.

Über diese und weitere Ergebnisse zu den Schattenseiten des Zeitdrucks bei der Arbeit berichten Roman Briker und der Wissenschaftsjournalist und Psychologe Jan Schwenkenbecher außerdem im Titelthema der Oktoberausgabe der Zeitschrift „Gehirn & Geist“, Spektrum der Wissenschaft.