Awo Gießen setzt auf Digitalisierung in der Kita Rödgen

Erzieherin Tatjana Kruse empfindet die iPad-Nutzung "als Vorteil für die pädagogische Arbeit".  Foto: Mosel

Der Einsatz von Tablets und Apps gehört in der Kita Rödgen inzwischen für Kinder, Erzieher und Eltern zum Alltag. Schon die Kleinsten sollen so in Medienkompetenz geschult...

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GIESSEN-RÖDGEN. Giessen-Rödgen. Für Eltern markiert die Eingangstür zur Kita derzeit eine Grenze. Im Betrieb unter Corona-Bedingungen müssen sie den Nachwuchs meist draußen verabschieden. Auch in der Einrichtung in Rödgen - seit einem Jahr unter der Trägerschaft der Arbeiterwohlfahrt (Awo) - ist das die Regel. Damit Mütter und Väter trotzdem einen Einblick in den Alltag ihrer Kinder bekommen, greifen die pädagogischen Fachkräfte zum Tablet. Für sie bedeutet der Einsatz digitaler Medien in der Kita ein Mehrwert, von dem alle Beteiligten profitieren können. Als das Digitalisierungskonzept Anfang März 2020 an den Start ging, konnte freilich niemand ahnen, dass eine weltweite Pandemie den Kindergarten- und Krippenbetrieb vor immense Herausforderungen stellen würde. Die Ausstattung mit iPads und W-Lan hat vor diesem Hintergrund zum "goldrichtigen Zeitpunkt" begonnen, wie Jugenddezernentin Gerda Weigel-Greilich bei einem Ortsbesuch feststellt. Und Awo-Geschäftsführer Jens Dapper zeigt sich "stolz", dass das Projekt nach anfänglicher Kritik heute "hervorragend" angenommen wird. Denn schon die Kleinsten könnten durch den Einsatz digitaler Medien "in ihrer Lebenswelt abgeholt werden". In der Rödgener Kita werden also gleich zwei Jahrestage begangen: der Trägerwechsel von der Stadt zur Awo Gießen und die Begegnung Pandemie-bedingter Veränderungen mit Apps und Co.

Individuelle Möglichkeiten

Für jede der vier Gruppen in der Rödgener Kita hat die Awo je ein iPad angeschafft. Dicke Gummihüllen in Blau und Pink schützen die Geräte vor allzu temperamentvoller Benutzung. Integrierte Griffe sorgen für sicheren Halt - nicht nur für kleine Kinderhände. Auch für Erzieherin Tatjana Kruse gehören die Tablet-Funktionen inzwischen ganz selbstverständlich zur Kinderbetreuung dazu. Sie und ihre Kollegen wissen, dass viele Eltern aktuell traurig oder gar besorgt sind, weil sie vom Kita-Tag ihrer Söhne und Töchter wenig mitbekommen. "Ich wollte allen, die die Kita aktuell nicht betreten dürfen, die Möglichkeit geben, einen ganz normalen Herbsttag mitzuerleben", erzählt Tatjana Kruse. Kurzerhand schwenkt sie also die iPad-Kamera durch den weitläufigen Außenbereich, filmt Jungen und Mädchen, die bunte Blätterhaufen zusammenkehren und kleine Schubkarren vor sich herschieben. Kinderhände zeigen einen Regenwurm in die Kamera, eine Gruppe Mädchen singt Herbstlieder und eine Erzieherin animiert zu Bewegungsspielen. Das elfminütige Video ist inzwischen - neben vielen weiteren kleinen Reportagen - auf dem Youtube-Kanal der Awo Gießen zu sehen. Den Einsatz digitaler Technik empfindet die Erzieherin ganz klar "als Vorteil in der pädagogischen Arbeit". Dies zeige sich unter anderem bei der Gestaltung individueller Portfolios - einer Sammlung von Fotos und Texten die jedes Kind am Ende der Kindergartenzeit als Erinnerung mit nach Hause nimmt. Mit den iPads werden nun schon die Kleinsten in den Auswahl-Prozess einbezogen - und zwar ohne zeitliche Verzögerung. "Sie können entscheiden, wie ihr Ordner aussehen soll und dabei Erlebnisse nacherzählen und reflektieren", fasst Kruse zusammen.

Die Kinder selbst brächten im Umgang mit den Tablets schon "beachtliche Fingerfertigkeiten" mit, wie Gaby Nickel, Kita-Bereichsleiterin bei der Awo, ausführt. Über reines "Wischen" hinaus, steht aber "der gesunde Umgang" mit Medien im Fokus. Spielerisch sollen schon Krippenkinder über altersgerechte Suchmaschinen an Internetrecherche herangeführt und in Medienkompetenz geschult werden. Geplant ist außerdem die Einführung eines "iPad-Führerscheins", der die Nutzung auch ohne Erwachsene nach vorgegebenen Regeln über eine fest definierte Dauer erlaubt. Gerda Weigel-Greilich nennt diese Bewegung "überwältigend und richtig". Denn Medienvorbereitung gehöre heutzutage genauso in die Kita wie "mit der Schere basteln zu lernen".

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Bereits 2018 hat die Awo Gießen die Digitalisierung in den Kitas zum Thema gemacht. Nach externen Beratungen wurden alle Einrichtungen mit entsprechender Infrastruktur und Endgeräten ausgestattet. Seit Herbst verfügt auch die Rödgener Kita über flächendeckendes W-Lan. Zum Einsatz kommt außerdem die "Kita-Info-App". Für Leiterin Beate Diehl wird dadurch vor allem die Kommunikation mit den Eltern vereinfacht. Per Push-Nachricht erhalten die Familien datenschutzkonform und über einen sicheren Server allgemeine Informationen, Speisepläne oder Termine aufs Handy. "In wenigen Minuten sind alle informiert", verdeutlicht Diehl. Im Vergleich zu Telefonketten oder Elternbriefen mit Rückläufen ist das ein großes Plus für die Kita-Leiterin - auch ressourcentechnisch. Dazu können in der App zum Beispiel Dienstpläne angelegt und Protokolle geführt werden. Über "Zoom" sind wiederum virtuelle Meetings möglich.

"Eltern, Kinder und Erzieher haben aus ganz unterschiedlichen Perspektiven tolle Erfahrungen gemacht", resümiert Dapper. Da die Rödgener Einrichtung in Kooperation mit einem Landwirt auch als Bauernhof-Kita fungiert, sei eine "sehr gute Balance" aus "digitaler Basis, Natur und Nachhaltigkeit" gegeben. Die Bildschirmzeit hat den Aktivitäten draußen also nicht den Rang abgelaufen. "Die Kinder spielen nicht weniger im Matsch als vorher", stellt Beate Diehl klar.

Von Jasmin Mosel