Für die Produktion von Fleisch wird Soja aus Südamerika verfüttert und für dessen Anbau Waldflächen gerodet. Insektenzucht könnte dieses Problem lösen, sagt ein Gießener Forscher.
GIESSEN. Die Welt retten - bei dieser Absicht denkt man eher an Superman als an kleine Krabbeltiere. Doch genau mit denen will Prof. Andreas Vilcinskas dieses ambitionierte Ziel erreichen. Wie, das erklärte der Professor für Insektenbiotechnologie der Justus-Liebig-Universität (JLU) und Leiter des Fraunhofer-Institutes für Molekularbiologie und angewandte Ökologie im "Live-Gespräch" mit Felix Döring. Der SPD-Direktkandidat im Wahlkreis Gießen für die kommende Bundestagswahl lädt in diesem Format alle zwei Wochen auf YouTube Personen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft, wie Pflege, Kultur und Wissenschaft, ein.
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"Die Weltbevölkerung wächst und hat somit einen steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln. Dazu gehören auch proteinreiche Lebensmittel, wie Fleisch oder Milchprodukte, deren Produktion mitunter sehr klimaschädlich beziehungsweise flächenverbrauchend ist", erklärte Vilcinskas. So werde für die heimische Produktion von Fleisch Soja aus Südamerika verfüttert und für dessen Anbau wertvolle Waldflächen gerodet. "Die EU ist dadurch der zweitgrößte Vernichter von Regenwald überhaupt", konstatierte der Forscher. Durch die Zucht von Insekten in einem industriellen Maßstab könne dieses Problem gelöst werden.
"Müssen wir also zukünftig Heuschrecken essen?", fragte Döring nach der Einleitung des Experten, was dieser klar verneinte. Es gehe darum, die durch die Krabbeltiere gewonnene Biomasse weiter zu verwerten: "Insektenlarven können verwendet werden, um Abfälle aus der Nahrungsmittelproduktion, wie beispielsweise Biertreber, Rückstände aus der Saftproduktion oder Kakaoschalen zu verwerten", so der Professor. Anschließend würde die Biomasse der Insekten in ihre Einzelbestandteile aufgetrennt. "Aus den Fetten ließe sich beispielsweise Biodiesel herstellen, die Proteine könnten Lebensmitteln direkt zugefügt oder in Aminosäuren aufgespaltet werden, das Chitin verwendet man zur Medikamentenherstellung", erklärte Vilcinskas weiter. Durch solche Non-Food-Methoden könne man beispielsweise auch Dung als Futter einsetzen, um der Nitrat-Problematik durch Überdüngung der Felder zu begegnen. Wichtig sei dafür aber die richtige Insektenart. "Nicht alle Arten lassen sich in Massen halten und sind wenig anspruchsvoll in ihrer Ernährung. Wir arbeiten hauptsächlich mit den Larven der schwarzen Soldatenfliege", erläuterte er.
Eine andere nachhaltige Verwertungsmöglichkeit, an der das Fraunhofer-Institut und auch der Wissenschaftler selbst gerade forschten, sei die Verfütterung der Insekten an Fische in Aquakulturen - oder Shrimps in geschlossenen Tanks. "Riesengarnelen werden in Asien in Aquakulturen gezüchtet, durch die massenhaft Antibiotika und andere Stoffe in Gewässer gelangen. Wir wollen die Shrimps in Tanks ohne Gewässeranbindung züchten und mit den gezüchteten Insekten füttern", so der Forscher. Damit gingen einige Vorteile einher: "Die Tiere sind frei von Wachstumshormonen und Antibiotika, da sie in einem hygienischen Umfeld gezüchtet sind; sie sind nachhaltig gefüttert und können außerdem regional produziert werden", erklärte Vilcinskas. Andere Ansätze seien beispielsweise die Verwertung von Plastik oder die Verfütterung von Resten aus der Baumwollproduktion. "Wir stehen hier erst am Anfang einer riesigen Entwicklung, die gerade boomt", sagte der Experte. Dies erkenne man auch an den hohen Investitionen der Industrie, die momentan im Bereich getätigt würden.
Auf die Frage nach tierschutzrechtlichen Bedenken machte der Insektenbiotechnologie-Pionier klar: "Laut deutschem Recht handelt es sich bei Insekten nicht um Tiere. Solange massig Gift auf die Felder gesprüht und Fliegenklatschen verkauft werden, sollte diese Frage also in den Hintergrund treten." Von der Politik wünscht er sich eine stärkere Bewusstseinsschaffung für das Thema. "Der Mehlwurm ist in der EU nun als Nahrungsmittel zugelassen, das ist ein erster, wichtiger Schritt. Das Potenzial von Insekten, uns einerseits zu schaden, aber auch nutzen zu können, muss aber noch viel mehr kommuniziert und in praktische Regeln überführt werden", resümierte der Professor der JLU. Fotos: Döring