Nach Auffassung der Gießener FDP hat Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz mit der Anlage von zehn Millionen Euro bei der mittlerweile insolventen Greensill-Bank ihre...
GIESSEN. Die zehn Millionen Euro, die die Stadt Gießen bei der mittlerweile insolventen Greensill-Bank angelegt hatte und wahrscheinlich abschreiben muss, haben jetzt ein erstes dienstrechtliches Nachspiel, nachdem es wegen der zwischenzeitlich stattgefundenen Kommunalwahl um das Thema ruhiger geworden war. Weil Dietlind Grabe-Bolz gegen sie erhobene Vorwürfe nicht entkräftet habe, kündigt nun die FDP-Fraktion im Stadtparlament an, beim Regierungspräsidium (RP) Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Oberbürgermeisterin einzulegen. Dazu erklärte der FDP-Stadtverbands- und Fraktionsvorsitzende Dominik Erb: "Aus unserer Sicht reicht es nicht, mit dem Finger auf die BaFin zu zeigen, sondern es gilt, auch vor Ort aufzuklären, ob ein Fehlverhalten vorliegt. Immerhin geht es um zehn Millionen Euro Steuergelder."
Von der Dienstaufsichtsbeschwerde erhoffen sich die Liberalen eine unabhängige Prüfung der Streitfrage, ob die Festgeldanlagen bei der Greensill-Bank tatsächlich durch die städtische Richtlinie für Geldanlagen gedeckt waren oder nicht. "Sollte Letzteres der Fall sein, dürfte darin ein konkreter Verstoß der Oberbürgermeisterin gegen ihre Amtspflichten vorliegen", betonte Erb.
In ihrer Dienstaufsichtsbeschwerde wirft die FDP dem Stadtoberhaupt im Wesentlichen vor, dass das nach der Richtlinie erforderliche Rating einer der beiden maßgeblichen Rating-Agenturen "Moody's" oder "Standard & Poors" nicht vorlag. Stattdessen habe die Stadt auf unterschiedliche Ratings der Agentur Scope zurückgegriffen und trotz unterschiedlicher vorgelegener Bewertungen keine Überprüfung des aktuellen Ratings vorgenommen.
Darüber hinaus, so Erb, hätte die Oberbürgermeisterin bei ihrer Pressekonferenz zum drohenden Millionenverlust für die erste Anlage der Stadt in Höhe von fünf Millionen Euro im Oktober ein Rating von A- und für die zweite Anlage in gleicher Höhe im Dezember 2020 ein Rating von BBB+ angegeben. Inzwischen stehe aber fest, dass die Oberbürgermeisterin hinsichtlich des Zeitpunkts des Downratings den Magistrat, Stadtverordnete und Öffentlichkeit unzutreffend informiert habe.
So habe ausweislich der Homepage von Scope Ratings diese Agentur das Rating der Greensill Bank bereits am 17. September 2020 und damit vor der ersten Gießener Festgeldanlage im Oktober auf BBB+ mit zusätzlich negativer Prognose gesenkt. Damit sei bereits zu diesem Zeitpunkt erkennbar gewesen, dass die dort getätigten Anlagen mit Blick auf die Prognose alles andere als sicher sein dürften. Die Oberbürgermeisterin habe deshalb Magistrat, Stadtverordnetenversammlung und Öffentlichkeit falsch informiert, ist sich die FDP sicher. Darüber hinaus habe Grabe-Bolz mit den beiden Anlagen trotz des schlechten Ratings die, ihr durch die Stadtverordnetenversammlung eingeräumte, Kompetenz zur Tätigung von Festgeldanlagen überschritten und damit ihre Amtspflicht verletzt.
Last but not least halten die Liberalen die Auslegung der städtischen Richtlinie durch den Magistrat für falsch, der davon ausgehe, dass die Zusammenarbeit mit regionalen Banken für die Stadt Gießen ausgeschlossen sei, weil diese nicht über ein Rating durch "Standard & Poors" oder "Moody's" verfügten.
"Es steht aktuell noch in den Sternen, ob die Stadt Gießen von den zehn Millionen Euro überhaupt etwas wiedersehen wird. Das sind zehn Millionen Euro, die gerade in Zeiten der Pandemie dringend gebraucht werden. Alleine deshalb verstehen wir es als unsere Pflicht, eine umfangreiche Aufarbeitung der Sache voranzutreiben", so Erb.
Weil ihr der Text der Dienstaufsichtsbeschwerde noch nicht vorliege, wollte sich Dietlind Grabe-Bolz selbst nicht zu dem Schritt der Liberalen äußern, teilte Stadtsprecherin Claudia Boje auf Anfrage mit. Auch ihrem Kollegen beim Regierungspräsidium Gießen, Oliver Keßler, lag am gestrigen Donnerstag die FDP-Beschwerde noch nicht vor. Wie lange es dauern wird, bis das RP eine Beurteilung abgeben kann, konnte Keßler nicht sagen: "Das kann innerhalb weniger Wochen bearbeitet sein, es kann aber auch Monate in Anspruch nehmen. Das hängt von der jeweiligen Ausgangssituation ab."