Gießener Schüler schildern, wie sie die Ausnahmesituation erleben und ob es gelingt, zu Hause den "inneren Schweinehund" zu überwinden und die digital übermittelten Aufgaben...
. GiessenDie Schulen sind geschlossen, doch die "Corona-Ferien" bedeuten nicht, die Füße hochzulegen und rund um die Uhr faulenzen zu können. Der Unterricht soll über digitale Kanäle und Kommunikationsplattformen wie IServ oder "Google Classroom" weiterlaufen - so gut es eben geht. Zumindest die Schulleiter haben den Auftakt überwiegend positiv bewertet. Wie aber sehen die Schülerinnen und Schüler den kommenden Wochen entgegen? Als wie belastend empfinden sie diese Ausnahmesituation? Und welche Bedenken haben sie?
Lena Gaides, Abiturientin der Herderschule: "Mein Jahrgang ist wegen des Abiturs natürlich in einer Sondersituation, aber da hat alles bisher sehr gut funktioniert. Wir sind ziemlich zügig über die weiteren Regelungen informiert worden. Insgesamt habe ich einen ganz guten Eindruck, aber das kann auch wirklich stufenbedingt sein, bei mir sind ja Notbetreuung und Klausuren kein Thema. Auch der Umgang mit dem Coronavirus war bei uns ganz gut. Zuerst hat ständig Seife gefehlt, dann hat die Schulleitung dafür gesorgt, das regelmäßiger zu kontrollieren. Und es war auch geplant, zweimal pro Tag Türklinken abzuwischen. Digital ist unsere Schule nicht so schlecht aufgestellt, wir haben schon länger IServ, was jetzt verstärkt genutzt werden soll. Ich kenne einen Lehrer, der auf die Zoom-App (eine Anwendung für Video-Chats, Anm. d. Red.) für Unterricht ausgewichen ist. Das soll ebenfalls ganz ordentlich klappen."
Junis Poos, Schulsprecher der Gesamtschule Gießen-Ost (GGO): "Bei uns wurden vorletzte Woche für jeden Klassenraum Seife und Handtücher angeschafft. Wir haben auch schon seit längerem IServ. Abgesehen davon, dass der Server kurzzeitig überlastet war, ist es bisher gut gelaufen. Mit der Schulleitung stimmen wir uns eng ab, um für komplizierte Fragen einen Skype-Raum zu nutzen."
Sarah Skrzypek, Liebigschülerin und stellvertretende Stadtschulsprecherin: "Ich finde die Situation nicht allzu belastend, mache mir aber Gedanken, wie das mit den Klausuren laufen soll, da bei uns noch keine bis maximal zwei geschrieben wurden und wir eigentlich in jedem Fach zwei pro Halbjahr schreiben. In den kommenden Wochen muss man sich sicher vieles selbst beibringen. Je nach Mensch und Jahrgang kann das sehr kompliziert werden. Zudem denke ich, dass viele Schülerinnen und Schüler mit der Methodik überfordert sein werden. Für den Online-Unterricht war unsere Schule nicht wirklich gewappnet. Wir haben alle E-Mail-Adressen von der 'Lio', die werden seit vergangenem Donnerstag dazu verwendet, um sich bei 'Google Classroom' anzumelden; da über 80 Prozent ihr Passwort nicht mehr wussten, musste das erst zurückgesetzt werden. Ein anderes Problem: Die meisten Lehrerinnen und Lehrer kennen sich damit überhaupt nicht aus und müssen jetzt erstmal eine 'Speed-Fortbildung' absolvieren. Hinzu kommt, dass einige von ihnen nicht 'Google Classroom' verwenden wollen, sondern die privaten E-Mail-Adressen. Das kann alles sehr verwirrend werden. Unabhängig davon, dass wir auch eher nur Hausaufgaben und kurze Erklärvideos bekommen, sodass uns wohl viel fehlen wird."
Lea-Kim Feldbusch, Abiturientin der Aliceschule und Beisitzerin im Stadtschülerrat: "Die Aliceschule hat auch endlich IServ eingerichtet. Kurz bevor alles zugemacht hat, war jeder Schüler angemeldet. Das klappt auch wirklich gut, die Lehrer übermitteln uns Arbeitsaufträge und Übungsmaterial."
Stergios Svolos, Schüler am Landgraf-Ludwigs-Gymnasium (LLG) und Stadtschulsprecher: "Am LLG war nichts von Gefahr zu spüren. Jeder hat sich normal mit einer Umarmung oder einem Handschlag begrüßt, und es gab ab und zu einen lustigen Spruch zur Corona-Krise. Alle haben das lange schlicht unterschätzt. Die Abiturienten sind natürlich sehr froh, dass sie ihre Klausuren normal schreiben können. Nur sollten sie sich nicht mehr in ihren Gruppen treffen, sondern alleine zu Hause lernen. Für die übrigen Schülerinnen und Schüler bedeuten die kommenden Wochen, viele Hausarbeiten anzufertigen, sich vieles selbst beizubringen - und voraussichtlich viele Wissenslücken im nächsten Schuljahr. Über IServ können wir mit unseren jeweiligen Fachlehrern zu festgelegten Uhrzeiten kommunizieren. Sie laden Aufgaben über diese Plattform hoch, die wir in einem bestimmten Zeitraum erfüllen müssen. Das ist halt wie starker Frontalunterricht. Was die Notbetreuung betrifft, finde ich es nicht fair, dass dies nur für Eltern gilt, die in 'systemrelevanten Berufen' tätig sind. Immerhin gehen auch 'Normalberufliche' arbeiten und müssen sich nebenbei um ihr Kind kümmern. Wenn es sich dann beim Spielen mit dem Coronavirus ansteckt oder sich verletzt, weil die Eltern überfordert sind, ist das nicht gut. Daran wird aber nicht gedacht."
Paul-Henry Bartz, GGO und stellvertretender Stadtschulsprecher: "Die Ostschule hat am 6. März angefangen, die Schüler in Sachen Hygiene zu schulen, am vergangenen Donnerstag wurde die IT-Situation geprüft und geguckt, dass jeder einen Zugang zum Schulserver hat. Inzwischen versorgen uns unsere Lehrer mit Material und Aufgaben, die wir erledigen sollen. Leider lädt der Schulserver nur sehr langsam, deshalb dauert es teils länger, die Aufgaben herunterzuladen als sie zu machen. Ich hatte inständig gehofft, dass die Schule normal weitergeht, denn es ist für mich leichter, früh aufzustehen und dann in der Schule zu arbeiten, als den 'inneren Schweinehund' zu überwinden und sich bei tollem Wetter zu Hause hinzusetzen, um etwas zu tun."
Von Benjamin Lemper