Einmal Jenseits und zurück

Laurenz Raschke (links) und Katejan Skurski haben für ihre Ausstellung "St. Beisel" eine ganze Holzhütte aus der Rhön in den Gießener Ausstellungsraum verfrachtet.  Foto: Studio Beisel

Das Duo Studio Beisel schickt sein Publikum auf eine anspielungsreiche analog-digitale Pilgerreise durch die Kunsthalle Gießen. Morgen geht es los.

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GIESSEN. Der Weg vom Diesseits ins Jenseits führt über einen roten Teppich, in einen Warteraum sowie schließlich durch eine windschiefe Brettertür. Dahinter wartet eine Art Pilgerreise auf die Besucher der Gießener Kunsthalle, die sie in eine Gegenwelt führt - greifbar wie gedanklich. Wer Mut fasst und sich auf den Weg macht, wird nicht nur für ein kurzes Weilchen auf sich selbst zurückgeworfen - sondern erzeugt gleichzeitig auch ein digitales Kunstwerk, das sich im Januar ersteigern lässt. Am morgigen Freitag wird das Projekt des Künstlerduos Studio Beisel eröffnet, das sich zwischen Installation, Theaterstück und Performance bewegt. Sein sinniger Titel: "St. Beisel".

Laurenz Raschke und Katejan Skurski lernten sich einst beim Studium der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen kennen und schätzen. Doch die klassische Aufführungspraxis auf der Bühne erwies sich nicht recht als beider Künstler Ding. Stattdessen experimentierten sie etwa mit wechselnden Rauminstallationen in einem Ladenlokal in der Marburger Innenstadt oder luden das Publikum zu einer Begräbnisfeier auf einen Düsseldorfer Friedhof ein. Themen, die sie nun für ihre erste institutionelle Einzelausstellung auf ebenso komplexe wie zugängliche Weise miteinander verbinden.

Wie fünf Akte

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Der mächtige Parcours besteht aus fünf Räumen, die wie die fünf klassischen Akte eines Theaterstücks durchlaufen werden. Vom über den Teppich und durch ein plüschiges Ambiente führenden Entree gelangen die Besucher in einen Warteraum, wo ihnen ein schwarzer Pilgerpass ausgehändigt und abgestempelt wird. Erst mit dem von der Kunsthalle beglaubigten Dokument ausgestattet, öffnet sich die Brettertür auf die andere Seite, die einen eindrucksvollen Blick auf eine Gegenwelt preisgibt. Das vorläufige Ziel dieser Reise ist eine mehrere Meter breite Scheune. Dorthin gelangen die Besucher über einen Pfad aus Holzplanken und ausgelegtes Stroh, das ebenso auf eine ländliche Umgebung verweist wie die im ganzen Raum aufgeschüttete Erde. "Unser Gottesacker" nennt Laurenz Raschke diesen Boden. All das Material haben die beiden Künstler ebenso aus der Rhön nach Gießen gebracht wie die wettergegerbte Holzhütte. "Die bekamen wir von einem 90-jährigen Mann, der sie nicht mehr brauchte", erzählt der in Osthessen aufgewachsene Katejan Skurski. "Für ihn war das Müll, für uns war es Gold", lacht er.

In der stets einzeln zu betretenden Hütte können die Reisenden dann durch einen speziellen, dünnwandigen Stoff ein Porträt ihres Konterfeis machen lassen, das nur noch die Konturen der Person zeigt und als digitale Datei gespeichert wird. "So wird eine Spur der eigenen Existenz hinterlassen und für die Ewigkeit aufbewahrt", sagt der aus Halle/Saale stammende Raschke. "Vermutlich zumindest."

So wie an diesem Ort geht es bei den beiden Künstlern immer wieder darum, Fragen nach der eigenen Existenz, nach dem Tod und dem Jenseits zu umkreisen. In ihrem Pilgerpass sprechen sie die Besucher dazu konkret an. Was ist wichtig? Was soll noch kommen? Was folgt auf den Tod? Solch existenzielle, wuchtige Fragen können in dem Büchlein mit einem Stift beantwortet und auch in ein Mi-kro gesprochen werden, das auf der nächsten Station der Reise folgt. Dort haben die Kunsthallen-Pilger gleichzeitig Gelegenheit, Platz auf einer Bank vor dem großen Schaufenster der Kunsthalle in Richtung Kongresshalle zu nehmen und so visuellen Kontakt mit der Außenwelt herzustellen. Das dürfte ein Leichtes sein: "Passanten bleiben oft stehen, manche winken auch, wenn sie sehen, dass hier etwas passiert", berichtet Kuratorin Dr. Nadia Ismail.

So beeindruckend und handwerklich aufwändig diese Installation auch gestaltet ist, die beiden jungen Männer legen aber auch Spuren in den digitalen Raum. Denn die in der Scheune aufgenommenen Besucherporträts werden zusammen mit den Tonspuren zu sogenannten Non-Fungible-Tokens (NTF) umgewandelt. Digitale Kunstwerke, die nicht austauschbar oder kopierbar sind und als Einzelstücke in den virtuellen Raum übertragen werden. Für manche solcher NTFs werden derzeit auf den Kunstmärkten enorme Summen bezahlt, das System sorgt für einen gerade heißlaufenden Milliardenmarkt.

Studio Beisel sorgt mit seinem Projekt für eine ironische Variation dieses Hypes. Die Dateien werden am Ende der Ausstellung unter den Besuchern versteigert - "für zwei Euro oder so", grinst Skurski. Zum einen könnte es sein, dass diese NTF-Kunstwerke ihren Wert in der Zukunft steigern. Zum anderen hängt die Wertsteigerung immer auch vom Glauben potenzieller Käufer ab. Womit wir auch schon wieder beim Thema Jenseits wären. Bleibt also nur noch eine Frage offen, die Skurski und Raschke an den Anfang ihrer Pilgerreise gestellt haben: "Bist du bereit?"

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Von Björn Gauges