Erste Ergebnisse des Verkehrsentwicklungsplans für Gießen

Die Fahrradstraßen bewerten Teilnehmer des ADFC-Fahrradklima-Tests positiv. Auf Kritik stößt das Falschparken.  Archivfoto: Friese

Die Stadt Gießen präsentiert erste Ergebnisse des Verkehrsentwicklungsplans in einem Online-Dialog. Die Bestandsaufnahme verzeichnet positive Ansätze und Ausbaupotenziale.

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GIESSEN. Bürgeranträge, Demonstrationen, Auseinandersetzungen in Wahlkämpfen: Das politische Thema Verkehr hat in den letzten Jahren zunehmend an Fahrt aufgenommen. Auch deshalb arbeitet die Dortmunder "Planersocietät" seit einem Jahr am städtischen Verkehrsentwicklungsplan (VEP), und mittlerweile liegt ein erster Zwischenbericht mit einer Bestandsaufnahme und -analyse vor. Einige Ergebnisse hat die Stadt am Mittwochnachmittag in einem Online-Dialog präsentiert. Darüber hinaus nutzten die Teilnehmer die Gelegenheit, weitere Vorschläge zu machen und mit Verkehrsplaner David Madden ins Gespräch zu kommen. "Es haben schon verschiedene Beteiligungsformate zum Verkehrsentwicklungsplan stattgefunden", erinnerte Bürgermeister und Verkehrsdezernent Peter Neidel zum Auftakt. Ziel sei es auch zukünftig, die Meinung der Öffentlichkeit in den Planungsprozess einfließen zu lassen.

Neue Herausforderungen

Warum ein Verkehrsentwicklungsplan? "In den letzten Jahren hat sich eine ganze Reihe an Rahmenbedingungen in der Stadt verändert", antwortete Planungsamtsleiter Dr. Holger Hölscher zum Auftakt. Neben einem Bewusstseinswandel in Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes, der Bevölkerungszunahme um rund 12 000 Einwohner in den vergangenen acht Jahren und der starken Vernetzung der Einkaufs- und Universitätsstadt in der Region zählte der Amtsleiter auch berufliche Einpendler zu den relevanten Faktoren. Daraus ergäben sich neue Herausforderungen an die Entwicklung der Mobilität. Analog zum städtischen Klimaneutralitätsbeschluss habe auch der Verkehrsentwicklungsplan das Jahr 2035 als Ziel im Auge.

"Gießens Einwohnerzahlen entwickeln sich sehr, sehr positiv. Die Prognose sagt, dass es so weitergeht, vielleicht ein bisschen abgeschwächt", erklärte auch Verkehrsplaner Madden von der "Planersocietät" zum Einstieg in seine Ausführungen zum aktuellen Stand des VEP. Für die Analysen hat das Büro neben Impulsen aus der Bürgerbeteiligung sowohl auf Daten zurückgegriffen als sich auch ein Bild von der aktuellen Verkehrssituation in der Stadt gemacht. 2018 sei ermittelt worden, dass hier 40 Prozent der Menschen mit dem Auto unterwegs seien, 27 Prozent bewegten sich zu Fuß, 20 Prozent mit dem Fahrrad und 13 Prozent mit dem ÖPNV. Der Radverkehr habe in den vergangenen Jahren zugenommen, was sich fortsetzen werde. "Auf 1000 Einwohner kommen in Gießen 424 Pkw. Diese Zahl war lange konstant, nimmt in den letzten Jahren aber leicht zu. In jedem Haushalt gibt es zudem 1,9 Fahrräder", so Madden.

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Bei ihren Betrachtungen vor Ort haben die Planer die Stadt aus den Augen unterschiedlicher Verkehrsteilnehmer wahrgenommen. So gebe es für Fahrradfahrer positive Ansätze wie den verstärkten Einsatz von Fahrradstraßen oder die Möglichkeit, Einbahnstraßen in der Gegenrichtung zu befahren. Madden: "Es gibt einen ganz guten Grundstock an Radabstellanlagen." Ausbaupotenzial machte er dagegen unter anderem an den Haupteinfallstraßen aus. Dort sei die Fahrradinfrastruktur "wirklich unzureichend". Neben Netzlücken nannte der Planer in diesem Kontext die Situation an Knotenpunkten, an denen Radfahrer als Verkehrsteilnehmer nicht gleichberechtigt seien. Teilnehmer am ADFC-Fahrradklima-Test lobten das Leihradsystem. Bemängelt werde hingegen die Führung an Baustellen, die Breite von Radwegen und das Falschparken auf ihnen. Die entsprechende Kontrolle scheine teils nur mangelhaft zu sein.

Geparkte Autos

Auch beim Fußverkehr gebe es mit attraktiven Stadtquartieren, Stadtparks und dem für den Fußverkehr gut gestalteten Zentrum gute Ansätze. Infrastrukturelle Defizite seien dagegen etwa ebenfalls geparkte Autos auf Bürgersteigen und der Anlagenring. Ein besonderes Qualitätsmerkmal des Stadtbussystems: "Fast alle Buslinien führen ins Stadtzentrum", betonte Madden. Der Bus habe damit einen Erschließungsvorteil gegenüber dem Auto und sei "ganz gut" mit dem Radverkehr verknüpft. Verbesserungsbedarf gebe es beispielsweise bei der Anbindung einiger Außenstadtteile. Und "viele Busse stehen auf den Hauptverkehrsstraßen häufig im Stau, kommen aus dem Takt und sind damit unattraktiv." Als Ursache dafür nannte der Planer etwa wenig eigene Businfrastruktur wie Busspuren. Die Erschließungsqualität des ÖPNV sei in der Stadt gut.

Für den PKW-Verkehr sei Gießen grundsätzlich gut ausgestattet, habe dadurch aber Schwächen für alle anderen Verkehrsteilnehmenden. So nehme etwa der "Anlagenring eine riesige Fläche in Anspruch, die für andere Verkehrsteilnehmende nur schwer zu queren ist, Platz in der dichten Innenstadt raubt und teils auch versiegelt. Eigentlich attraktive Innenstadtbereiche werden heute als Parkplätze benutzt", führte Madden aus. Durch bessere Führungen und Angebote in den Parkhäusern gebe es sicher Varianten.

Wer die Veranstaltung verpasst hat, findet die umfangreiche Bestandsaufnahme auf der Internetseite www.giessen.de in der Unterkategorie "Verkehr und Mobilität" der Rubrik "Leben".