Für ein multikulturelles Gießen

Die deutsche Sprache als Grundpfeiler der Integration. Deshalb werden beispielsweise von der Volkshochschule entsprechende Sprachkurse für Ausländer angeboten.  Symbolfoto: Möller

Der Gießener Ausländerbeirat zieht eine positive Bilanz der Arbeit der vergangenen fünf Jahre. Der gemeinsame Termin mit der Kommunalwahl soll die Wahlbeteiligung steigern.

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GIESSEN. Aufgepasst alle Gießener, die keinen deutschen Pass besitzen: Denn vier unterschiedliche Wahlrechte gelten für Gießens Bürger beim Kommunalwahltermin am 14. März. Die Einwohner mit deutschem Pass wählen an diesem Tag das Stadtparlament und den Kreistag. Wer nicht in der Kernstadt, sondern in einem Stadtteil gemeldet ist, wählt auch noch den Ortsbeirat. Ausländer hingegen dürfen nur ihre Vertretung, den Ausländerbeirat wählen. Es sei denn, sie besitzen den Pass eines EU-Landes. Dann können sie bei allen Wahlen ihre Stimme abgeben.

Klingt kompliziert, ist diesmal zumindest für die ausländischen EU-Bürger einfacher. Denn bei der letzten Wahl "mussten" sie Ende November 2015 zur Wahl des Ausländerbeirates, einige Monate später dann zur "richtigen" Kommunalwahl. Sechs Prozent Wahlbeteiligung sprangen damals lediglich bei der Ausländerbeiratswahl heraus. Diesmal sollten es eigentlich 20 Prozent werden. Doch die Pandemie schränkt den Wahlkampf auf Programm, Flyer und das Netz ein. Bei der letzten Ausländerbeiratssitzung wurde Resümee der fünfjährigen Arbeit gezogen.

"Migrationshintergrund sollte man als Bezeichnung heute nicht mehr anwenden", betonte Integrationsdezernentin Stadträtin Astrid Eibelshäuser. "Wir haben heute eine vielfältige Gesellschaft mit unterschiedlichen sozialen Lagen." Da spiele die Länderherkunft keine übergeordnete Rolle mehr. "Integration sollte irgendwann auch mal anders heißen." Doch scheint dies noch Zukunftsmusik zu sein in einem multikulturellen Gießen mit einer Bevölkerung, von der ein Drittel auch anderen Kulturen entstammt.

Noch gibt es im Rathaus das Büro für Integration, in dem durch Einbeziehung von Förderprojekten inzwischen sieben Personen beschäftigt seien; nicht alle in Vollzeit, wurde hinzugefügt. "Handlungsleitend ist bei der Integrationspolitik immer: Wer bei uns zuwandert, braucht Unterstützung und passende Angebote, um hier Fuß zu fassen, in der Schule und der Arbeitswelt seinen Platz zu finden." So bedeuteten frühkindliche Bildung und Erziehung auch den Zugang zu Kita-Tagesplätzen. "Wenngleich es noch zu wenige gibt." In der Volkshochschule (VHS) seien viele spezielle Kurse geschaffen worden, insbesondere für das Erlernen der deutschen Sprache. Und für die Kinder gebe es Ferienangebote.

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Viel Gehör gefunden

Auch in der derzeitigen Pandemie sei sichergestellt, dass die Menschen mit der Ausländerbehörde kommunizieren könnten. Der Wartebereich sei umgestellt worden, "wenn auch nicht ganz reibungslos." Onlineterminierung und zusätzliche Stellenbesetzungen hätten inzwischen für Entlastung gesorgt.

Seit der letzten Wahl in 2015 habe sich die Situation in der Stadt verändert, so die Stadträtin. Viele neue Ausländer seien in der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) gestrandet. "Seitdem sind 3000 Menschen mit Fluchthintergrund in die Stadt gekommen, die hier auf Dauer leben wollten. "Deren Wünsche haben sich nicht alle erfüllt." Doch herrsche in Gießen ein gutes Klima für die, die neu dazukommen. "Wenngleich wir nicht alle Probleme gelöst haben." Der Magistrat sei immer gut beraten, wenn er das Wissen des Ausländerbeirates in seine politischen Entscheidungen einbeziehen könne.

Dies sieht auch Zeynal Sahin so, der Vorsitzende des Gremiums. "Wir haben in den letzten fünf Jahren zwar nicht alles erreicht, jedoch viel Gehör gefunden." So besitzt der Ausländerbeirat in allen politischen Gremien wie in Ausschüssen und Stadtverordnetensitzungen zwar kein Stimmrecht. Doch Antragsrecht und Rederecht sind ihm eingeräumt. So sei es dem Beirat gelungen, die Mitarbeiter der Ausländerbehörde in Kursen sensibilisieren zu lassen gerade für Menschen, die nicht so gut Deutsch könnten. Auch sei ein Plus, dass das Integrationsbüro und eine VHS-Anlaufstelle dort räumlich untergebracht seien.

"Politik hat für dieses Anliegen offene Ohren gehabt und es umgesetzt", lobte Sahin. Auch sei ihnen gelungen, mehr als zehn von Ausländern betriebene Firmen bei der Zaug so ertüchtigen zu lassen, dass sie nun als Ausbildungsbetriebe Lehrlinge einstellten. Bei allen Aktionen in der Stadt gegen Rassismus sei der Ausländerbeirat beteiligt gewesen. "Trotz dem es in unserem Beirat Mitglieder mit verschiedenen politischen Richtungen gibt, sind wir nach außen immer geschlossen aufgetreten."

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Tätigkeitsbericht

Der verteilte schriftliche Tätigkeitsbericht des Ausländerbeirates für die Jahre 2016 bis 2020 umfasst 66 DIN-A4-Seiten. Stichworte für den Inhalt sind: Engagement in der Kommunalpolitik - Einsatz für Chancengleichheit und Teilhabe - Förderung der Demokratie - Garant gegen Rassismus - Einsatz gegen Diskriminierung - Integration und friedliches Zusammenleben aller Kulturen - Recht auf Muttersprache - Stärkung der Migrantinnen - Für ein multikulturelles Gießen. Sahins Schlusswort war ein Dank an die Frauen: "Da, wo wir sie gebraucht haben, waren sie da." Ein Grußwort an die Anwesenden richtete Jochen Mietusch als Vertreter der für das Stadtparlament erstmals kandidierenden neuen Wählergruppe "Gießen gemeinsam gestalten" (Gigg) und machte deren Programminhalt bekannt. Foto: Schäfer