Gießen: Ausbildung im uralten Handwerk des Zimmerers begonnen

Das heimische Zimmerer-Handwerk freut sich über 50 männliche und weibliche Lehrlinge aus der mittelhessischen Region. Foto: Ewert

In Gießen wurden 50 junge Leute aus ganz Mittelhessen eingeschult, die das Handwerk des Zimmerers erlernen wollen. In der Bevölkerung genießt der Beruf eine hohe Wertschätzung.

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GIESSEN. GIESSEN. Zimmerleute sind stolze Handwerker. Stolz auf das, was sie tun, Traditionsbewusstsein und eine wohlverstandene Standesehre – das Tragen der Zimmerer-Kluft zu vielen Anlässen, auch außerhalb des beruflichen Alltags, gehört einfach dazu – sind eigentlich in jedem Handwerk anzutreffen. Nicht zuletzt, weil viele, die meisten sogar, auf eine jeweils Jahrhunderte, nicht selten auch Jahrtausende alte und überwiegend ununterbrochene Historie zurückschauen können. Das Zimmerer-Handwerk ist eines der ältesten Gewerke überhaupt. Nun wurden an der Theodor-Litt-Schule, die unter anderem für das Zimmerer-Gewerk zentralhessische Berufsschule ist, im vor wenigen Wochen begonnenen zweiten Ausbildungsjahr genau 50 Schüler eingeschult, um im Rahmen der nachhaltig bewährten und erfolgreichen dualen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule das Handwerk des Zimmerers zu erlernen.

Die Lehrlinge respektive Berufsschüler kommen aus dem Großraum Mittelhessen zwischen Biedenkopf und Büdingen, Limburg und Alsfeld und gehören Betrieben aus sieben Innungen an: Gießen, Limburg-Weilburg, Lahn-Dill, Marburg, Biedenkopf, Vogelsberg und Wetterau. Und die jungen Leute bringen die unterschiedlichsten Biografien und Bildungsvoraussetzungen mit – vom Abschluss der Haupt- oder der Realschule, mit Abitur bis hin zum universitären Abschluss, auch Umschüler sind dabei. Diese Bandbreite spricht zudem für die Attraktivität einer Ausbildung im Zimmerer-Handwerk, das insgesamt und aus Sicht von Bevölkerung und Verbrauchern eine hohe Wertschätzung genießt.

Zahlreiche Beweggründe

Bunt wie die Abschlüsse der Probanden ist die Palette der Gründe, weshalb eine junge Frau, ein junger Mann sich für den Beruf des Zimmerers entscheidet. Da sind „am Ende des Tages“ Arbeitsergebnisse, mit Händen geschaffen, mit Händen greifbar und gut und sinnvoll anzusehen. Da ist die schon angesprochene große Tradition dieses Handwerks. Die Möglichkeit zur Wanderschaft, eine Variante der Fortbildung nach der Ausbildung, die in früheren Jahrhunderten Gesellenpflicht, heutzutage dagegen eine Kür, eine Herausforderung ist, der man sich freiwillig und in überraschenderweise gar nicht so seltenen Fällen stellt. Des Weiteren wird die handwerkliche Ausbildung nicht nur als eine tragende Grundlage für eine Karriere im Handwerk angesehen, sondern auch als Ausgangspunkt für ein später sich anschließendes Studium erkannt. Für etliche erscheint das Restaurieren der in Deutschland in großer Zahl vorhandenen Fachwerkbauten ein erstrebenswertes Ziel, gleichfalls die Aussicht, den elterlichen Betrieb zu übernehmen und sich zugleich dem Holzbau als ökologische Bauweise der Zukunft zu widmen.

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Vom Anfang des zweiten Ausbildungsjahres wird hier berichtet, weil dieses an der Berufsschule den Beginn der speziell auf das Zimmerer-Handwerk fokussierten Ausbildung markiert. Denn das erste Ausbildungsjahr ist an der Schule allgemeiner und auch gewerkübergreifend gestaltet, als „Baugrundstufe (BG)“ des Berufsgrundbildungsjahrs Holztechnik. Oder kann in bestimmten Fällen gänzlich übersprungen werden. Im zweiten Lehr- beziehungsweise Berufsschuljahr beginnt dann die Spezialisierung. Dabei fällt auch bei den 50 Zimmerer-Lehrlingen an der Theodor-Litt-Schule der „angehobene Altersdurchschnitt“ der Berufsschüler ins Auge, der vor allem durch Quereinsteiger im zweiten Ausbildungsjahr verursacht wird. Denn Schüler mit Abitur oder anderen höheren Abschlüssen können – je nach Ausbildungsvertrag – das erste Lehrjahr überspringen. Und so ist ein höheres Einstiegsalter in den Beruf des Zimmerers heutzutage nicht nur keine Seltenheit mehr, sondern eher sogar Normalität – und liegt aktuell bei dem 50-köpfigen Zimmerer-Nachwuchs an der TLS bei 20 Jahren.

Fundierte Grundlage

Zimmermeister Christopher Rinn aus Heuchelheim, Obermeister der Zimmerer-Innung Gießen, sieht mit Freude, dass viele heimische Betriebe Ausbildung anbieten, um jungen Menschen eine fundierte Grundlage für ihr weiteres Leben zu geben. Bis ins fortgeschrittene Alter die Schulbank drücken oder an Unis die Vorlesungen füllen, ist laut Rinn eine Möglichkeit, ins (Beruf-)Leben zu starten. Die andere ist eine Ausbildung, im Handwerk zumal, da das alte Motto des „goldenen Bodens“ im Handwerk moderner und treffender denn je sei.

Der Gießener Innungs-Obermeister weist darauf hin, dass Betriebe, die zum ersten Mal ausbilden oder auch mehr jungen Menschen, als sie es bislang getan haben, eine Lehre anbieten, öffentliche Fördermittel erhalten. Das sei in diesen aktuell schwierigen Zeiten einerseits zu begrüßen. Andererseits aber auch nicht recht zu verstehen. Denn der Handwerksmeister als solcher habe schon immer ausgebildet und er tue dies auch jetzt trotz unsicherer Umstände, bekomme aber keine Förderung. „Das verstehe, wer will.“ Warum, so fragt Rinn, ist die gleiche Ausbildung im Blick auf die Fördertöpfe unterschiedlich viel wert?

„Dass Holz der natürlichste und somit ressourcenschonendste Baustoff ist, den uns Mutter Natur nachwachsen lässt, hat bestimmt auch dazu beigetragen, derart hohe Ausbildungszahlen – auch wieder mit weiblichen Lehrlingen – wie in diesem Jahr zu haben", freut sich Christopher Rinn. Holz rieche gut, sowohl bei der Verarbeitung als auch im verbauten Zustand. Im sichtbaren Bereich sehe es gut aus und trage alleine schon deshalb dazu bei, sich mit Holz in seiner Wohnumgebung wohlzufühlen. Zumal die von Zimmerleuten verwendeten Hölzer fast immer pur Natur und nicht behandelt sind. „Die gewachsene Oberfläche eines geschnittenen Holzes ist immer einmalig, ein Unikat, und für die meisten Menschen entspannend anzuschauen. Wer würde das über Stahl und Beton so sagen können?", fragt Obermeister Rinn.