Gießen: Kirchengemeinden verschieben Konfirmationen in Herbst

Fröhliches Miteinander - so war es beim "Konfi-Camp" der Luthergemeinde 2019. Foto: Hartmann

Trostbriefe und Spaziergänge statt Segen und Gesang: Die Konfirmationen in Gießen sind aufgrund der Corona-Beschränkungen in den Herbst verschoben. Aber es gibt kreative Ideen.

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. Giessen (mh). Der Mai ist der Monat der Konfirmationen. Eigentlich werden seit Mitte des Monats in den evangelischen Gemeinden in und um Gießen 300 Jugendliche konfirmiert. Eigentlich. Denn mit Beginn der Kontaktsperre brach auch der Konfirmandenunterricht ab. Wie haben Kirchengemeinden die Beziehung zu den Jugendlichen seit Beginn des Lockdowns gestaltet und was wird aus den Konfirmationen in diesem Jahr?

"Gottseidank haben wir den Konfirmationsanzug noch nicht gekauft ... der Junge wächst ja monatlich", tröstet sich eine Mutter angesichts der jetzt abgesagten Konfirmation. Pfarrerin Sonja Löytynoja von der Luthergemeinde im Gießener Osten weiß, dass sich die Familien schon lange auf einen "perfekten Tag" mit Familienfeier gefreut hatten. "Und nun dieses Ungewisse."

Rasch nahm die junge Pfarrerin Kontakt zu den Familien auf. "Ich habe den Eltern geschrieben, ich wüsste nicht, wie es mit einem Pubertierenden zuhause geht, aber ich wüsste, wie es ist, mit Zwillingen in der Trotzphase zu Hause sein zu müssen." Das löste einen regen E-Mail-Kontakt mit den Eltern aus, in dem sich Sorgen, Anspannungen, aber auch Hoffnungen offenbarten.

Per WhatsApp antworteten ihr die Konfirmanden. Sie schrieben von "Verwirrung" und "Ahnungslosigkeit" angesichts der ungewissen Lage; von der "Angst" um die Oma; von "Trauer", weil so viele Menschen an den Folgen der Virus-Erkrankung leiden und sterben; sie fühlten sich in die "Einsamkeit" der Menschen ein, die zuhause ohne Kontakte waren; spürten aber auch "Dankbarkeit" gegenüber denen, die in den Krankenhäusern helfen. Sie selbst vermissten natürlich den unmittelbaren Kontakt zu Freunden.

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Die Konfi-Treffen jedenfalls waren wie der Schulunterricht erst einmal ausgesetzt. Für Pfarrerin Löytynoja war aber klar: "Was Jugendliche mit Kontaktsperre noch mehr als Trostpsalme und Bibelwissen brauchen, sind Beziehung und Gespräche." Und so pflegte sie den Kontakt weiter. Dabei fühlte sie sich aber nicht verpflichtet "den Konfis jetzt digital Bibelverse zu vermitteln". Die 14-Jährigen sollen religiöse Kompetenz erwerben und Beziehungen knüpfen, erleben, dass ihnen die Kirche was geben kann, nicht unbedingt Lerninhalte. "Sie sollen sich in der Konfizeit ein Grundgefühl aneignen können, ich werde hier als Mensch angenommen und kann mich mit Fragen auseinandersetzen, wer bin ich, wo komme ich her, wo will ich hin. Fragen, die im schulischen Alltag nicht so eine große Rolle spielen."

Nichts anderes ist die Konfirmation nach evangelischem Verständnis. Während des festlichen Konfirmationsgottesdienstes bekennen sich die Jugendlichen zum christlichen Glauben und bestätigen damit ihre Taufe. Von nun an gelten sie als mündige Mitglieder der christlichen Gemeinde. Sonja Löytynoja forderte die jungen Menschen zum Nachdenken heraus, quasi "Konfi-Home-Schooling". Vor Ostern etwa erhielten sie Aufgaben für die verschiedenen Stationen der Leidensgeschichte Jesu. Ganz persönlich sollten sie notieren, welche Stimmung sie in ihrem Umfeld und in der Gesellschaft wahrnehmen. Überlegen, was Nächstenliebe heute bedeutet und dazu auch Fotos schicken. "Durch die Antworten und Bilder habe ich die Konfis von einer sehr privaten Seite, und als vernünftig und erwachsen, reflektiert und informiert erlebt." Vergangenen Sonntag wäre es mit Konfirmationen in und um Gießen losgegangen. Stattdessen fanden die Konfirmanden Trostbriefe mit einem kleinen Geschenk in ihren Briefkästen, schildert etwa Pfarrerin Christine Specht aus Allendorf. Gemeinsam mit dem Kleinlindener Pfarrer Ekkehard Landig und Vikar David Lieder habe sie kleine Boxen gebastelt. Darin: Texte, ein Teelicht und etwas Süßes. "Wir hätten gerne mit den Jugendlichen einen wunderschönen Konfirmationsgottesdienst gefeiert." Deshalb ist es wichtig, ihnen zu schreiben: "Wir finden es sehr schade, dass wir uns im Augenblick nicht im Konfirmandenkurs sehen können. Dass die Konfirmation verlegt werden musste, ist etwas ganz Außergewöhnliches. Auch für uns ist das seltsam und wir wollen gerne zu Dir Kontakt halten." Auch die Wiesecker Pfarrerin Iris Hartings schrieb mit ihrer Kollegin Carolin Kalbhenn Karten. "Ich will ihnen vor Augen führen, dass ich an sie und ihre Familie denke." Natürlich sind die digitale und die analoge Briefpost kein Ersatz für die ausgefallenen Konfirmationen, aber es ist ein rührendes Zeichen von Verbundenheit und Zuwendung.

Pfarrerin Sonja Löytynoja hat ihren Konfis jetzt ein Video geschickt. Darin erzählt sie, welche Rolle ihr Konfirmationsspruch für sie heute noch spielt. Dass sie den von ihr als 14-Jährige ausgesuchten Vers "Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit" zunächst lange vergessen hatte. Später als Karatekämpferin und Trainerin habe sie gespürt, dass ihr Mut und ihr Vertrauen sowie der Respekt für Gegner und Kampfrichter im Kern den Konfi-Spruch spiegeln, der zu ihrem Lebensmotto geworden war. Sogar ein kleines Tattoo habe sie sich dazu stechen lassen. Jetzt sei sie neugierig, welchen Spruch die Jugendlichen für sich heraussuchten. "Ob er wohl die Corona-Zeit widerspiegelt?", fragt sie sich. Darüber will sie in den kommenden Wochen mit den Jugendlichen bei persönlichen Spaziergängen zu zweit reden. Alle evangelischen Gemeinden mussten die Konfirmationen auf den Herbst verschieben. Neu terminiert sind sie ab Mitte September bis zum Reformationstag am 31. Oktober. Doch auch das wird erhebliche logistische Probleme bereiten, angesichts der wohl noch lange geltenden Abstands- und Hygieneregeln. "In die Kapelle auf dem Alten Friedhof passen lediglich 15 Menschen, selbst in das Gemeindehaus nur 20", klagt die Luther-Pfarrerin, die schon zwei Feiern für je zehn Konfis am 13. September plant. Sie denkt über den Umzug in die benachbarte Wichern-Kirche nach. Da passen nach Corona-Regeln immerhin 31 Besucher hinein. Im Gottesdienst werden außer den Eltern kaum Verwandte dabei sein können. Umso wichtiger wird die anschließende Familienfeier sein. Ob die Konfis ihre Gesichter dabei hinter Masken verstecken müssen; ob sie in der Auswahl des Gesichtsschutzes ihre individuelle Note setzen werden; wie wohl ein Gruppenfoto gemacht wird? Viele Fragen bleiben noch offen. Ohnehin wissen alle, dass auch der neue Konfirmationstermin abhängig von der aktuellen Situation im Herbst ist. Garantiert ist nichts. Aber eine Perspektive gibt es. Und das ist wohl das Wichtigste in Corona-Zeiten.

Das Video von Pfarrerin Sonja Löytynoja kann im Internet unter www.giessen-evangelisch.de angeschaut werden.