Gießen: "Mehr Licht ins Dunkel des Abrechnungschaos"

Die Fraktionsgemeinschaft aus Gigg und Volt kritisiert die Entlastung des Gießener Magistrats bei den Revisionsberichten und Jahresabschlüssen 2017 und 2018 und wirft dem...

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GIESSEN. Aus Sicht der Fraktionsgemeinschaft von "Gießen gemeinsam gestalten (Gigg)" und Volt haben Grüne, SPD und Gießener Linke - die aller Voraussicht nach die künftige Regierungskoalition bilden werden - mit ihrer Zustimmung zu den umstrittenen Jahresabschlüssen 2017 und 2018 und den dazugehörigen Revisionsberichten demonstriert, "dass ihnen Transparenz im Umgang mit öffentlichen Geldern weniger wichtig ist als die Interessen des eigenen 'Spitzenpersonals'". Statt mit der Entlastung des Magistrats zu warten, "bis etwas mehr Licht ins Dunkel des Abrechnungschaos" zu den Unbegleiteten Minderjährigen Ausländern (UMA) gebracht wurde und zum Beispiel die Untersuchungen des externen Beratungsunternehmens Deloitte vorliegen, habe die Koalition gegen den Willen aller anderen Fraktionen entschieden, moniert der Fraktionsvorsitzende Lutz Hiestermann in einer Pressemitteilung. Seine Kritik richtet sich auch gegen das Verhalten der Linken: Obwohl man dieses Thema "doch eher zu deren programmatischen Schwerpunkten zählen würde", hätten sie sich weder in der fünfeinhalbstündigen Sondersitzung des Haushaltsausschusses noch in der Stadtverordnetenversammlung "substanziell zu Wort gemeldet", so Hiestermann.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft den Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses, Klaus-Dieter Grothe: Dieser beeinflusse die Entscheidungsfindung über die finanzielle Förderung von freien Trägern, erhalte aber gleichzeitig von diesen Aufträge, die laut Revisionsamt nicht ausreichend dokumentiert sind, führt Hiestermann aus. "Um hier gar keine kritischen Gedanken aufkommen zu lassen, sollte es doch im höchsten eigenen Interesse von Herrn Grothe sein, von sich aus auf vollständige Transparenz zu dringen und diese zu praktizieren. Stattdessen stimmte auch er für die Entlastung des Magistrats und greift somit dem Aufklärungsprozess vorweg." Gigg und Volt hätten sich gewünscht, dass Grothe diese Transparenz "bereits von sich aus in der Sondersitzung des Ausschusses an den Tag gelegt hätte und nicht erst aufgrund unseres Antrags in der Stadtverordnetenversammlung". Er habe in der Ausschusssitzung deutlich Stellung bezogen und so die Diskussion erheblich beeinflusst, ohne dass klar gewesen wäre, dass es zumindest potenziell auch um seine Abrechnungen geht. "Diese Intransparenz ist alles andere als guter politischer Stil!", bemängelt Hiestermann. "Besonders auffällig war bei der Aussage von Herrn Grothe im Übrigen, dass es ihm offensichtlich sehr wichtig war, darauf hinzuweisen, dass er seine Rechnungen nicht privat, sondern gemäß der Gebührenordnung der gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet habe. Dies beurteilen wir so, dass die vielen privaten Liquidationen vor 2017 offensichtlich doch nicht so eindeutig unproblematisch sind, wie Grüne und SPD die Öffentlichkeit gerne glauben machen wollen."

Auch dass sich das Rechtsamt innerhalb kürzester Zeit in der Lage sah, die Situation aller anwesenden Stadtverordneten und Magistratsmitglieder dahingehend zu beurteilen, dass es keinerlei Widerstreit der Interessen gebe und daher der entsprechende Antrag von Gigg und Volt ohne Relevanz sei, habe zu großer Verwunderung geführt. Mit einer nun ans Rechtsamt geschickten Fragenliste will man "die rechtlichen Hintergründe dieser Aussage, deren konkrete juristische Begründung sowie die Abläufe zwischen dem Stellen unseres Antrags um 18 Uhr und der Aussage von Herrn Grußdorf in der Stadtverordnetenversammlung zwei Stunden später nachvollziehen", lässt die stellvertretende Satu Heiland wissen. "Wir können das Urteil nicht teilen, dass es keinen Widerstreit der Interessen geben soll, wenn mindestens ein Stadtverordneter, der selbst seit Jahren Rechnungen stellt, die über das Jugendamt abgerechnet werden, den Magistrat gegen das Votum des Revisionsamts entlastet - und dies, obwohl noch längst nicht alle Fragen rund um die Abrechnungen geklärt sind."

Die Fraktionsgemeinschaft hat Gespräche mit Revisions- und Jugendämtern großer Stadtverwaltungen in verschiedenen Bundesländern geführt, die selbst Clearingstelle für UMAs sind oder diese zumindest an andere Kommunen abgeben. "Bisher konnte kein einziges Amt gefunden werden, bei dem wie in Gießen in großem Umfang Privatliquidationen erstattet wurden", heißt es. Umso weniger verständlich sei das Verhalten der SPD, "die mit ihren öffentlichen Statements auch nach der Stadtverordnetenversammlung weiterhin den Revisionsamtsleiter diskreditiert und damit ihren einseitigen und problematischen Kurs der letzten Woche fortsetzt".