Lavendel ist die Arzneipflanze des Jahres und weist gleich mehrere wissenschaftlich anerkannte Einsatzgebiete auf. Nach Plinius dem Älteren haben sich bereits die Römer in mit...
GIESSEN. GIESSEN. Jeder kennt die stimmungsvollen Kalenderbilder, auf denen sich Wülste blauviolett blühender vom Morgen- oder Abendlicht beschienener Pflanzen durch eine karge, mediterrane Landschaft schlängeln. Dabei handelt sich um den Halbstrauch Lavendel, der zur Arzneipflanze 2020 gekürt wurde.
Das Mittelmeergebiet gilt als Heimat von Lavandula angustifolia, die dort wegen ihrer Eigenschaften großflächig als Nutzpflanze angebaut wird. Der Gattungsname „Lavandula“ leitet sich von dem lateinischen „lavare“ ab, was waschen bedeutet. Nach Plinius dem Älteren haben sich bereits die Römer in mit Lavendelblüten versetztem Badewasser erholt. Und auch noch heute liefert Lavendel Badezusätze, die ein entspannendes Bad versprechen. Das Artepitheton „angustifolia“ spielt auf die Schmalblättrigkeit der Pflanze an, die für diese Art charakteristisch ist, während sich der Verwandte L. latifolia durch breitere Blätter auszeichnet.
Die filzige Behaarung und der nach unten eingerollte Blattrand gelten als Sonnen- und Verdunstungsschutz. In den Blättern, Stängeln und Blüten befinden sich Öldrüsen. Mit ihrem ätherischen Öl sind sie für den aromatischen, blumigen Duft verantwortlich, der über Lavendelfeldern wabert und liefern das begehrte Lavendelöl. Diese blassgelbe Flüssigkeit wird durch Wasserdampfdestillation aus den Blüten gewonnen. Im Standardwerk „Giftpflanzen Pflanzengifte“ wird das Öl als „praktisch ungiftig“ bezeichnet, was allerdings allergische Reaktionen mit der Haut nicht ausschließt.
Wissenschaftlich anerkannte Einsatzgebiete von Lavendel sind Schlafstörungen, Unruhezustände und verschiedene Magen-Darmbeschwerden. Das Öl spielt in der Aromatherapie eine wichtige Rolle und wird in der Parfümindustrie genutzt. In einem altägyptischen Grab wurde eine nach Lavendel duftende Salbe gefunden. Damals soll die Pflanze schon zur Einbalsamierung verwendet worden sein.
Auf den Einfluss von Lavendel auf allerlei Ungeziefer wurde bereits von der Äbtissin Hildegard von Bingen in ihrer „Physica“ hingewiesen: „Und wenn ein Mensch, der viele Läuse hat, oft am Lavendel riecht, sterben die Läuse an ihm.“ Deshalb werden bis heute mit getrockneten Lavendelblüten gefüllte Säckchen im Wäscheschrank deponiert, wo sie nicht nur den typischen Geruch verbreiten, sondern zusätzlich die Motten fernhalten sollen. Junge Blättchen und Blüten eigenen sich wegen ihrer Gerbstoffe noch als Würze bei der Zubereitung von Gerichten.
„Muttergottespflanze“
Dank der Mönche des Mittelalters wurde der mediterrane Lippenblütler und seine Nutzung nördlich der Alpen bekannt. Als „Muttergottespflanze“ soll der Halbstrauch „unkeusche“ Gelüste verhindern. Das steht allerdings im Widerspruch zu dem, was Odo Magdunensis im „Macer floridus“ schreibt: „...mit dick eingekochtem Most genossen, erregt die Pflanze die Liebeskraft.“ Aber vielleicht trifft ja beides zu und die Wirkung hängt wieder einmal ganz entscheidend von der Dosis ab, denn mehr als ein Gramm des Öls führt zu Somnolenz.
Die Gewürz- und Heilpflanze ist inzwischen zu einer beliebten Zierpflanze in den heimischen Gärten geworden. Und das ist gut so. Zwar liefert sie nur wenig Pollen, dafür aber umso mehr Nektar, der von Honigbienen und vielen anderen Insekten gerne geerntet wird. Die Honigbienen verwandeln Lavendelnektar in einen fast weißen, fein-cremigen und zartduftenden Honig. Gießener müssen übrigens nicht in die Provence reisen, um eine Ahnung von einem Lavendelfeld zu bekommen. Es reicht schon aus, die Marburgerstraße stadtauswärts zu fahren. Irgendwann taucht auf der linken Seite ein Autohaus auf, das von Lavendel umgeben ist. Vielleicht gibt es ja hier beim Kauf eines Autos gratis ein Lavendelsäckchen als Duftspender für den Wageninnenraum dazu. Ob das nun die Liebeskraft oder die Somnolenz fördert, bleibt sich dabei ziemlich gleich. Beide Zustände dürften für das sichere Führen eines Autos ungeeignet sein.
Von Dieter Larve