Die Verkehrsführung am Gießener Anlagenring soll während eines Verkehrsversuchs geändert werden. Bürgermeister Alexander Wright hat bei einer Online-Diskussion auch Lob bekommen.
Gießen. „Krass, wie viele Gedanken und Arbeit da drinstecken. Danke an alle, die daran mitgearbeitet haben. Ich bin gespannt auf den Versuch und freue mich sehr, dass meine Heimatstadt so etwas Zukunftsweisendes unterstützt!“, bilanzierte ein Teilnehmer die Online-Informationsveranstaltung über den Verkehrsversuch auf dem Anlagering, an dem am Dienstagabend in der Spitze bis zu 100 Interessierte teilnahmen. Eine andere unkte aber auch: „Gibt bald keine Verkehrsteilnehmer mehr, außer Radfahrern.“
Dafür, dass der Verkehrsversuch die Gemüter in der Stadt wie kaum ein zweites Projekt der Koalition spaltet, verlief die von Michael Bassemir moderierte Diskussion dann aber doch weitgehend sachlich und ergebnisorientiert.
Voraussichtlich Ende Juni wird begonnen, die beiden inneren Spuren des Rings für Radfahrer, Busse und Rettungsfahrzeuge zu reservieren. Auf den äußeren Spuren wird für den motorisierten Individualverkehr ein Einbahnverkehr – entgegen dem Uhrzeigersinn – eingerichtet. Bis zum September sollen die dafür nötigen Umbauarbeiten abgeschlossen sein.
Straßenplaner Robert Pelich vom Tiefbauamt hatte zunächst die Verkehrsführung en detail vorgestellt, vor allem in den Bereichen, in denen Zubringerstraßen wie die Rodheimer, die Frankfurter oder die Bleichstraße auf den Anlagenring münden. Dabei zeigte sich, dass die Linienführung in diesen Bereichen doch recht kompliziert sein wird. Eine konsequente Trennung des Radverkehrs und des Autoverkehrs, wie das in Holland oder den skandinavischen Ländern erfolgreich praktiziert werde, sei in Gießen nicht möglich, weil das sehr viel teurer wäre, räumte Bürgermeister Alexander Wright ein.
Vorwurf, dass Autos aus Gießener Innenstadt verbannt werden, wird zurückgewiesen
Den Vorwurf, dass die Stadt das Auto aus der Innenstadt komplett verbannen wolle, wies der Grünen-Politiker zurück. Allein in den Parkhäusern innerhalb des Anlagenrings stünden Autofahrern rund 4500 Parkplätze zur Verfügung, die derzeit nur zum Teil belegt seien. Keiner müsse mit dem Bus zwischen dem Philosophenweg pendeln, um in die Innenstadt zu kommen.
Ein Teilnehmer monierte, dass der Verkehrsversuch auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stadt nur der erste Schritt sein könne. Bei der Förderung der E-Mobilität hapere es in Gießen aber noch gewaltig. So gebe es in der ganzen Weststadt derzeit keine Ladestation für Elektroautos und auch weitere Stadtteile wie Wieseck oder große Teile der Nord- und der Südstadt seien kaum mit Wallboxen oder E-Tankstellen versorgt.
„Da sind wir ganz am Anfang unserer Projektierung“, räumte Pelich ein, erwähnte allerdings nicht, dass ein Ausbau der E-Mobilität deutlich teurer werden dürfte, als der Ausbau von Fahrradstraßen, denn dazu müsste das Gießener Stromnetz im ganzen Stadtgebiet ausgebaut werden.
Immer wieder kritisiert wurde die künftige Einbahnstraßenführung auf dem Anlagenring. Wer etwa künftig aus der Moltkestraße zum Rathaus fahren wolle, müsse einmal den Anlagenring umrunden. „Muss er nicht“, konterte Wright, „er wird dann nämlich über die Grünberger Straße und den Berliner Platz fahren, um sein Ziel zu erreichen.“
Ein anderer Teilnehmer wollte wissen, welche weiteren, harten und belastbaren Kriterien - außer der beabsichtigten Erhöhung des Fahrradverkehrs auf dem Anlagenring - es gebe, die zum Abbruch des Versuchs führen würden. Diese Entscheidung werde am Ende eine übergeordnete Behörde, sprich das Regierungspräsidium, treffen, versicherte Wright, auch würden die Ergebnisse des Versuchs noch in der Stadtverordnetenversammlung diskutiert werden.
Während die einen also eher skeptisch auf den Verkehrsversuch blicken, können andere ihn gar nicht erwarten. „Danke Gießen, dass ihr die Autosekte so zum Schäumen bringt!“, jubilierte ein - offensichtlich nicht motorisierter – Zeitgenosse. Verständnisvoller, auch gegenüber den Verantwortlichen, war ein anderer Teilnehmer: „Ich bin gespannt auf den Versuch (und, nein, ich bin kein Fahrradfahrer). Ich möchte nicht in Ihrer Haut stecken und mich mit uns allen auseinandersetzen müssen.“ Ausdrücklich bedankte er sich für die Beantwortung beinahe jeder Frage seitens der Verantwortlichen. Kritisiert wurde aber auch, dass eine Gruppe von Verkehrsteilnehmern an diesem Abend eher zu kurz gekommen sei: „Wenn ich die Äußerungen heute betrachte, sind Fußgänger die eindeutigen Verlierer.“