Unter einem Vorwand hatte der 33-Jährige nach eigenen Angaben die Frau in den Keller seiner Gießener Arbeitsstelle gelockt und massiv attackiert. Zudem räumte er ein, auf der...
GIESSEN. Gleich zwei Messer, eine ziemlich echt aussehende Pistole und Klebeband hatte der Mann bereitgelegt. Nun musste er seine Kollegin nur noch unter einem Vorwand in das kleine Archiv im Keller locken. Dort wollte er die blonde Frau mit den Waffen zunächst einschüchtern, fesseln und dann "seinen Phantasien freien Lauf lassen". Der Verwaltungsangestellte beabsichtigte, sein Opfer zu entkleiden und "den Geschlechtsverkehr durchzuführen", heißt es in der Anklageschrift. Und tatsächlich räumt der 33-Jährige unumwunden ein: "Ich wollte diese Ekstase erleben." Doch seinen perfiden Plan konnte er letztlich nicht umsetzen. Die Mitarbeiterin der Finanzabteilung wehrte sich mit allen Kräften gegen den Angreifer und konnte sich ihm rechtzeitig entwinden - obgleich der großgewachsene Mann sie offenbar würgte und ihr mit dem Schaft der Spielzeugpistole eine blutende Wunde am Kopf zufügte. Dann aber ließ er von ihr ab, verständigte an diesem 18. Juli 2019 selbst die Polizei und ließ sich widerstandslos festnehmen.
Wegen versuchter Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung muss sich der 33-Jährige nun vor dem Landgericht verantworten. Hinzu kommt der Vorwurf, den "höchstpersönlichen Lebensbereich" seiner Kollegin verletzt zu haben. Rund drei Wochen vor der hinterhältigen Attacke hatte der Angeklagte - laut eigenem Bekunden - in der Toilette der gemeinsamen Arbeitsstelle in Gießen eine Kamera deponiert, um die 57-Jährige entblößt zu filmen. Durch ein leises Knistern war sie jedoch auf die unter einem Tischchen festgeklebte Ausspähtechnik aufmerksam geworden. "Ich habe ihm die Kamera danach sogar noch gezeigt", schildert die Frau zu Prozessauftakt vor der Siebten Strafkammer. Und ihr Gegenüber habe geradezu ungläubig gefragt: "Wer macht denn so was?"
"Ich bringe Dich um"
Mehr als drei Jahre lang haben sich die beiden ein Büro geteilt, haben sich gut verstanden und wenige Male etwas zusammen unternommen. "Wir waren gemeinsam zum Blutspenden und auch im Kino", beschreibt die Kaufmännische Angestellte. Und fügt hinzu: "Mein Mann war immer mit dabei." Es sei ihr niemals aufgefallen, dass der Kollege sich ihr habe nähern wollen. Folglich war sie an jenem Sommermorgen auch völlig arglos, als er sie gebeten habe, ihm bei der Suche nach Akten in dem abgelegenen Kellerraum zu unterstützen. "Auf einmal stand er hinter mir und sagte: ,Ich bringe Dich um!'." Zunächst habe sie gedacht, es handele sich um einen Scherz. Als sie aber die Klinge am Hals und den Pistolenlauf im Rücken spürte, sei ihr schlagartig klar geworden: "Das ist ernst." Deshalb habe sie sich vehement widersetzt. Der Angeklagte habe zwar die Tür verschlossen, aber den Schlüssel steckengelassen. Das ermöglichte es ihr, die Verriegelung selbst aufzuheben und nach draußen zu fliehen. "Er hat mich dann wieder gepackt und zu Boden geschmissen", erinnert sie sich mit stockender Stimme an diese schrecklichen Minuten. Zu keinem Zeitpunkt habe sie etwas von einer sexuellen Motivation für die Tat bemerkt. "Er hat nur mehrfach wiederholt, dass er mich töten wird."
Den brutalen Übergriff will der junge Mann tatsächlich gar nicht beabsichtigt haben. Er sei vielmehr davon überzeugt gewesen, dass die blonde Frau durch die Waffen so verängstigt werde, dass sie sich ihm hingebe und keine Gegenwehr leiste. Angesichts des unerwarteten Gerangels "wusste ich nicht mehr, wie ich reagieren sollte". Erst als sein Opfer wehrlos am Boden gesessen und gesagt habe: "Du zerstörst unser beider Leben", sei er wieder zur Besinnung gekommen.
Der Angeklagte sitzt mit hängenden Schultern in Saal 227 des Landgerichts. Es ist deutlich zu erkennen, dass es ihm unangenehm ist, über seine sexuellen Begehrlichkeiten zu sprechen. Zumal ihm mit den zwei Berufsrichterinnen und zwei Schöffinnen, der Staatsanwältin sowie der Rechtsvertreterin des Opfers geballte Frauenpower gegenübersitzt. Dennoch "möchte sich mein Mandant dringend äußern", versichert Verteidiger Carsten Marx. Zudem erklärt er: "Die Anklageschrift ist völlig richtig." Trotz der massiven Vorwürfe "steckt etwas mehr dahinter als eine skrupellose Täterpersönlichkeit."
"Eifersüchtig" gewesen
Der 33-Jährige skizziert selbst, dass er noch nie eine Beziehung geführt hat, dass es in seinem Leben keine Freunde und keine Anerkennung gebe. Kurze Zeit vor dem gewalttätigen Übergriff sei seine Schwester, der er sehr nahestehe, mit dem Verdacht auf Kieferkrebs ins Krankenhaus gebracht worden. Um sie besuchen zu können, habe seine Mutter bei ihm gewohnt. Diese Belastungen habe er nicht mehr schultern können. Obendrein berichtet er scheinbar am Rande, dass er im Mai die Urlaubsvertretung für die 57-Jährige übernommen und sein Vorgesetzter ihm vermittelt habe, dass im Gegensatz dazu "meine Sachen nicht so wichtig sind." Das habe ihn eifersüchtig gemacht.
Auslöser für die Vergewaltigungsphantasien aber war wohl die Angst, wegen der heimlichen Filmaufnahmen überführt zu werden. "Das war wie ein Countdown." Zuvor will er sogar versucht haben, sich umzubringen. "Ich wollte mich mit Mülltüten ersticken, habe es aber nicht geschafft." Stattdessen sei er mit einer Kollegin ins Kino gegangen.
"Ich möchte mich aus tiefstem Herzen entschuldigen. Es tut mir leid, was ich getan habe", wendet er sich direkt an die 57-Jährige. Gleichzeitig erklärt er sich bereit, der Frau ein Schmerzensgeld in Höhe von 7500 Euro zu zahlen. "Ich wollte eine Freundin haben, heiraten und Kinder bekommen", erzählt er. "Doch die Realität sieht anders aus." Er habe erkannt, dass er krank ist und sich inzwischen professionelle Hilfe gesucht.
Unterdessen kann sein Opfer seit der Tat "zu anderen Menschen nur noch schlecht Vertrauen fassen". Mehr noch: "Es fällt mir schwer, nicht jeden Mann als Täter zu sehen."