Gießener Musiklabel trotzt den finsteren Zeiten

Die Singer/Songwriterin Fee war vor wenigen Tagen für ein gemeinsames -Streaming-Konzert zu Gast bei der hr-Bigband. Ihr neues Album ist jetzt beim Gießener Label O-Tone-Music erschienen.  Fotos: Jonas Jung, O-Tone

O-Tone-Betreiber Uwe Hager spricht im Interview über Künstler in Not, seine Pläne für ein Konzertprogramm auf dem Kirchenplatz und den Wert von Musik.

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GIESSEN. Das Gießener Unternehmen O-Tone Music hat zahlreiche internationale Künstler aus den Bereichen Jazz, Folk und Weltmusik unter Vertrag. Es veröffentlicht Alben, organisiert Tourneen und kümmert sich um das Marketing für renommierte Profis wie für vielversprechende Newcomer, denen allesamt ihre wichtigste Einnahmequelle weggebrochen ist: die Auftritte. Uwe Hager, Gründer und Betreiber des in der Marktlaubenstraße ansässigen Unternehmens, spricht im Interview über das Problem der Verlegungen, seine Pläne für ein Programm auf dem Kirchenplatz sowie den Wert des Spielens. Und einen aktuellen Plattentipp hat er auch.

Herr Hager, seit fast einem Jahr ist die Konzertmusikbranche quasi komplett zum Erliegen gekommen. Wie geht es den von Ihnen betreuten Musikern?

Genau so, wie Sie sagen: Fast alles ist zum Erliegen gekommen. Unsere Künstler haben zur Zeit kein Einkommen aus dem Live-Bereich, sind aber weiter kreativ und bringen trotzdem neue Veröffentlichungen heraus.

Und wie steht es um Ihr Label? Worin besteht derzeit Ihre tägliche Arbeit?

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Unser Label ist gut aufgestellt, dank seiner langen Existenz. Meine Arbeit besteht allerdings seit einem Jahr fast ausschließlich aus Telefonaten mit verzweifelten Veranstaltern, die Konzerte verlegen oder absagen müssen. Termine wurden nach dem ersten Lockdown zunächst in den Sommer und Herbst 2020 verlegt oder in den jetzigen Winter. Nun geht es genauso weiter. Für einige wenige Konzerte, die tatsächlich stattgefunden haben, mussten mit den Veranstaltern Hygienekonzepte ausgearbeitet und strenge Reiseregeln beachtet werden. Viele andere Hygienekonzepte waren leider nur für die Schublade konzipiert, weil die Politik im November den nächsten Lockdown verhängte. Daneben musste natürlich Rücksprache mit allen Künstlern und Bandmitgliedern gehalten werden, ob die Verlegungstermine überhaupt möglich sind und und und...

Stichwort staatliche Hilfen: Haben Sie die Programme in Anspruch genommen, ist Geld geflossen und wie sind diese Hilfen zu bewerten?

Es ist für alle direkt Betroffenen des Lockdowns, die quasi staatliches Berufsverbot ausgesprochen bekamen und plötzlich keine Einnahmen mehr hatten, sehr schwer, Hilfen zu beantragen und zu bekommen. Steuerberater müssen eingeschaltet werden, da die Politik das vorschreibt. Das ist an der Realität vieler Künstler vorbei gedacht, die sich einfach verschaukelt fühlen. Wir als Label haben bis jetzt einmal Soforthilfe erhalten und sind dafür sehr dankbar. Insgesamt sind die Hilfen aber ein Bürokratiemonster, das dringend geändert werden müsste.

Wann rechnen Sie mit einer Wiederaufnahme der Konzerte und wie lassen sich all die Verschiebungen denn überhaupt noch organisieren?

Die Konzerte mussten zunächst um ein Jahr verschoben werden und konnten jetzt doch nicht stattfinden. Alle unsere für Anfang November 2020 geplanten Veranstaltungen, darunter in Kirchen in Marburg und Lich, mussten wenige Tage zuvor durch den zweiten Lockdown erneut verschoben werden. Ich rechne aber in diesem Sommer mit möglichen kleineren Konzerten im Freien.

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Sie haben gerade wieder einige interessante Veröffentlichungen bei O-Tone vorbereitet. Etwa das neue Album der Frankfurter Singer/Songwriterin Fee, die gerade zusammen mit der hr-Bigband in deren Frankfurter hr-Sendesaal ein Online-Konzert gespielt hat. Aber wie lassen sich die Musiker vermarkten, wenn ihre Alben nicht über Tourneen ans Publikum gebracht werden können?

Der Livebereich war einer der letzten Haupteinnahmequellen für die Künstler, da ein reines Überleben durch den Verkauf von CDs immer schwieriger wurde und Einnahmen aus Downloads oder Streamingportalen die Verluste für die meisten nicht wettmachen. Da nun bei uns Tourneen im März, April oder Mai geplant sind, haben wir uns im Sommer 2020 dazu entschlossen, die für Ende Januar, Anfang Februar geplanten Veröffentlichungen der CDs von Cristina Branco, Joo Kraus und anderen nicht schon wieder zu verschieben. Man darf also eifrig über unser Label oder den Online-Shop JPC bestellen, wenn man uns oder den Künstlern etwas Gutes tun möchte.

Sie planen im Sommer ein Piano-Festival in der Region. Auf was kann sich das Publikum vielleicht doch schon ein bisschen freuen, falls Corona nicht doch wieder zum Spielverderber wird?

Ja, wir hoffen sehr, dieses Liveprogramm in Gießen, Marburg und Wetzlar umsetzen zu können. Es soll eine kleine kulturelle Bereicherung für die Region sein. Im Sommer spielte ich Klavier auf dem Kirchenplatz für eine kleine Crowdfundingaktion unter dem Titel "The Lost Piano". Dabei wurde mir bewusst, wie selten dieser zentrale Ort eigentlich kulturell genutzt wird. Das möchten wir ändern. Wir planen nun ein Programm im Juli, bei dem das Publikum in Gießen sowie in Lich, Marburg und Wetzlar tolle kleine Konzerte genießen kann. Sofas und Klappstühle dürfen dann auch auf den Kirchenplatz mitgebracht werden, so ähnlich wie bei den damaligen Konzerten im Botanischen Garten. Hoffen wir darauf, dass es im Sommer einige Lichtblicke gibt und wir etwas Farbe in den derzeit tristen Alltag zaubern können.

Sie sind selbst Musiker. Arbeiten Sie aktuell auch an eigenem Material?

Ja, derzeit veröffentliche ich alle vier bis sechs Wochen einen instrumentalen Pianosong. Gerade war ein Cover von "True Faith" dran, ein Stück der legendären englischen Electroband "New Order" - aber ganz anders, sehr reduziert und intim. Oft sind es auch neu geschriebene Songs, die ich spiele. Seit dem Beginn der Reihe "The Lost Piano" kamen über 550000 Streams zusammen. Wir waren in den Klassik-Charts und die ersten Anfragen, die Musik fürs Fernsehen zu nutzen, liegen auf dem Tisch. Zusätzlich gab es schöne Reaktionen von vielen Seiten. Auch aus Ländern wie Mexiko, Japan oder Südkorea bekam ich Feedback. Wenn es zeitlich geht, werde ich da ab und an weiterhin aktiv bleiben. Es ist ein kreativer Ausgleich zu dem verrückten Homeoffice-Alltag, den wir derzeit erleben. Wenn ich Klavier spiele, muss ich nicht mehr reden. Diese musikalische Sprache wurde mir immer wichtiger, dient auch als seelische Kompensation. Ich denke, dass derzeit jeder Mensch mehr oder minder merkt, wie relevant Kultur, Musik, Kunst wirklich ist.

Letzte Frage: Welche Platte aus Ihrem Haus sollten wir in diesen Tagen hören, um dem Corona-Blues zu entkommen?

Ich empfehle die neue Scheibe von Joo Kraus: "We Are Doing Well". Ist seit Freitag draußen.

Von Björn Gauges