
Die Diskussion über die Stellungnahmen von Polizei und Regierungspräsidium Gießen läuft auf Hochtouren. Die Stadtverordneten haben das Thema ausführlich behandelt.
Gießen. Letzte Sitzung der Stadtverordneten vor der Sommerpause im Juli: Erneut steht der Verkehrsversuch auf der Tagesordnung. Und auch die Stellungnahmen von Polizeipräsidium Mittelhessen und Regierungspräsidium Gießen sind Teil der Debatte. Fraktionsvorsitzender Klaus Peter Möller von der CDU fragt den Bürgermeister, ob die Stadtverordneten diese Einschätzungen haben könnten. „Nein. Herr Neidel hat sie auch nicht rausgegeben. Das sind Dokumente, die einen Bezug auf die Anordnung haben und die ich jetzt nicht rausgebe“, antwortet Alexander Wright von den Grünen. Auch jetzt hält sich die Stadt mit einer Stellungnahme zu den Dokumenten, deren zentrale Inhalte diese Zeitung am Donnerstag veröffentlicht hat, zurück. Magistratssprecherin Claudia Boje verweist stattdessen auf das laufende Verfahren. Bekanntermaßen steht nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Gießen die Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel noch aus.
„Im Rahmen von komplexen Prozessen wie dem Verkehrsversuch am Anlagenring werden im Rahmen der Anhörung beziehungsweise Anzeige zahlreiche Hinweise (unter anderem auch von Polizei und RP) gegeben, die in der Anordnung zum Verkehrsversuch entsprechend innerhalb einer Abwägung gewürdigt werden“, erläutert Boje. Sie bittet um Verständnis dafür, „dass wir in Anbetracht des laufenden Verfahrens und im Vorfeld einer gerichtlichen Entscheidung aus Respekt vor eben diesem Prozess diese Details nicht veröffentlichen möchten.“
In der Sitzung der Stadtverordneten am 13. Juli hat Wright auf eine Frage des Christdemokraten Volker Bouffier nach dem Inhalt der polizeilichen Ausführung erklärt: „Da gab es auch verschiedene Punkte, die kritisch gesehen wurden, aber am Ende ging es auch nach dem Motto: Es ist jetzt ein Versuch und wir wollen es auch mal wagen. Ich kann es jetzt nicht wörtlich zitieren. Ich weiß es nicht mehr hundertprozentig. Es gab aber auch Kritikpunkte, die wir entsprechend abwägen müssen“, führte der Bürgermeister aus. Dem Anzeiger liegt die achtseitige Stellungnahme des Polizeipräsidiums Mittelhessen zur Anhörung durch die Straßenverkehrsbehörde mit Datum vom 14. Juni vor. Das von Wright auf Nachfrage von Bouffier beschriebene „Motto“ ist darin nicht zu erkennen. Das Präsidium nimmt in mehreren Kapiteln Stellung zu Verkehrsfragen wie dem ÖPNV, Verdrängungseffekten oder Einsatzfahrten.
Behörde regt neue Anordnungen zur Verkehrsüberwachung an
Das letzte Kapitel ist der „Verkehrsüberwachung“ gewidmet. Darin regt die Behörde an, zur Durchsetzung der neuen Anordnungen und damit zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit die Gesamtheit der Regelungen durch geeignete Maßnahmen zu überwachen. „Diesem Umstand sollte durch angemessene Anpassung der städtischen Ressourcen Rechnung getragen werden. Flankierend zur Verkehrsüberwachung sollten die neue Verkehrsführung und die damit einhergehenden Verkehrsregeln durch geeignete Öffentlichkeitsarbeit vermittelt werden“, schließt der Brief des Präsidiums.
Angesprochen von Anja Helmchen von der CDU auf mögliche verkehrssicherheitsrelevante Konflikte zwischen Stadtbussen und Fahrrädern, auf die das RP in seiner Stellungnahme hinweist, kam Wright auf die Fahrradstraße in der Neuen Bäue zu sprechen. Dort klappe es „ganz gut“. In der Juli-Sitzung sprach der Bürgermeister auch über den Nachweis der einfachen Gefahrenlage, den das Verwaltungsgericht angemahnt hatte. Grundsätzlich verwies der Politiker zunächst auf den Vorbericht zum Verkehrsentwicklungsplan. Darin heiße es, dass sich zahlreiche identifizierte Probleme vor allem auf bestimmten verkehrlichen Strukturen abbildeten. Der Vorbericht zum Verkehrsentwicklungsplan nenne in diesem Zusammenhang an erster Stelle den Anlagenring, die Grünberger- und die Marburger Straße, an denen Konflikte im Verkehr deutlich würden. „Und das hat Herr Neidel unterschrieben“, verwies Wright auf seinen christdemokratischen Amtsvorgänger.
Auf dem Anlagenring herrsche eine einfach Gefahrenlage
Die einfache Gefahrenlage auf dem Anlagenring ergebe sich nach den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) aus den werktäglichen Verkehrsstärken. Auf diese Gefahren habe neben Neidel auch schon der ehemalige Stadtbaurat Thomas Rausch (CDU) aufmerksam gemacht. Dass die ERA zur Bewertung einfacher Gefahrenlagen angewendet werden dürfe, hätten bereits andere Urteile von Verwaltungsgerichten bestätigt, unter anderem in München.
Polizei und Regierungspräsidium hatten in ihren Stellungnahmen 27 Unfälle mit Beteiligung von Radfahrern in den Jahren 2020 bis 2022 angeführt. „In 26 dieser Fälle entstand der Konflikt an einer Stelle, an der Verkehrsströme zusammengeführt werden oder sich kreuzen (Kreuzung, Einmündung oder Grundstückszufahrt). Bei 18 Unfallereignissen wurde die Hauptunfallursache durch die beteiligten Radfahrer gesetzt, wobei in zehn dieser Fälle eine Missachtung der Vorfahrtsregelung durch Lichtzeichen ursächlich war“, so das Präsidium. Es lägen jedenfalls keine Erkenntnisse vor, die Anlass zum Zweifel geben könnten, dass die derzeitige Verkehrsführung entlang des Anlagenrings ein Miteinander zwischen Rad- und Kraftfahrzeugverkehr nicht gewährleisten könne. Die Charakteristik der jeweiligen Unfallstellen lasse zudem kein Erfordernis einer Trennung der beiden Verkehrsarten Fahrrad und Kraftfahrzeug erkennen