"Gefangenes Wort" hat drei Journalisten aus Syrien und dem Irak finanziell unterstützt, die sich wegen der Verfolgung durch staatliche Institutionen zur Flucht genötigt sahen.
GIESSEN. Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht - und dennoch wird dieses Recht noch immer in vielen Teilen der Welt unterdrückt. Hervorgegangen aus einer studentischen Initiative, hat es sich der Gießener Verein "Gefangenes Wort" zur Aufgabe gemacht, auf die Gefährdung der Meinungs- und Pressefreiheit aufmerksam zu machen. Seit der Gründung im Jahr 2012 stellen Studierende und Alumni der Justus-Liebig-Universität (JLU) einmal im Monat im Gießener Anzeiger ein Schicksal zensierter, bedrohter, inhaftierter und ermordeter Journalisten und Schriftsteller vor. Diesmal berichtet Lena Frewer über drei Journalistinnen und Journalisten aus Syrien und dem Irak.
Zehn Jahre nach den ersten Aufständen in Syrien ist die politische Lage im Land häufig aus dem Blickfeld der Berichterstattung geraten. Noch weniger präsent ist die Arbeit oppositioneller Aktivisten im Land. Was nach zehn Jahren viele Menschen mit Syrien verbinden, ist die Erzählung vom "Arabischen Frühling" als kurze Episode des demokratischen Aufbruchs oder auch der "Arabische Herbst" mit der Niederschlagung der Proteste. Die Erzählungen neben den Nachrichtenmeldungen greift die Organisation "Adopt a Revolution" seit Ende 2011 auf, um ein anderes Bild von Syrien zu entwerfen. Sie unterstützen die Zivilgesellschaft in ganz Syrien, den Nachbarländern und der Diaspora und tragen dazu bei, autonome Strukturen oppositioneller politischer Arbeit aufzubauen. Im März hat "Gefangenes Wort" drei Journalisten aus Syrien und dem Irak finanziell unterstützt, die mit "Adopt a Revolution" in Kontakt stehen: Mohammed Hamdan, Ali Dab Dab und Basma Faraj.
Mohammed Hamdan ist Aktivist im syrisch-palästinensischen Kollektiv "Watad", das infolge von Militärbelagerungen des Assad-Regimes und seiner Verbündeten sowie dem weiteren Vordringen des IS immer wieder die Arbeit unterbrechen und an andere Orte ziehen musste. Schließlich wurden sie 2018 in einem von Russland ausgehandelten Deal in die von der Türkei kontrollierten Gebiete in Nordsyrien deportiert, einige konnten in die Türkei oder auch nach Deutschland fliehen. Als Geflüchtete syrisch-palästinensischer Herkunft sind die Aktivisten staatenlos, Mohammed Hamdan selbst sitzt seit zehn Monaten auf einer griechischen Insel fest. Trotz ihrer teils aussichtslosen Lage berichten die Aktivisten auf ihrem Blog "Sard" (Narrativ) regelmäßig über die politischen Entwicklungen der vergangenen zehn Jahre und geben oppositionellen Bewegungen eine Plattform, die in Syrien bis in die 1980er Jahre zurückreichen.
Der Fotograf Ali Dab Dab hat im Irak in den vergangenen Jahren regimekritische Proteste mit seiner Kamera dokumentiert und unter einem Pseudonym in arabischsprachigen Medien außerhalb des Iraks von seinen Erfahrungen berichtet. Zur Zeit eines Aufstands 2019 kam es immer wieder zu Angriffen auf unabhängige Medienhäuser, Ali Dab Dab verließ Bagdad erstmals im Januar. Er ging nach Sulaimaniya in Kurdistan und konnte seine Familie in die Türkei bringen. Von Oktober bis Januar 2019 war er wieder in Bagdad, musste jedoch nach erneuter Gewalt seitens der Unterstützenden des Präsidentschaftskandidaten Mohammad Taufik Allawi in die Türkei fliehen, wo er bis heute lebt.
Gleichberechtigung
Die dritte unterstützte Person ist Basma Faraj, die ab 2019 als Moderatorin für den irakischen Radiosender "Al-Mousawat" (Gleichberechtigung) tätig war. Der feministische Sender und das angegliederte Frauenzentrum werden von Frauen mit Gewalterfahrung geleitet. Sie sind seit der Gründung 2009 laufend von Repressionen betroffen. Basma stand als Moderatorin besonders in der Öffentlichkeit und wurde aufgrund ihrer Arbeit bedroht und verfolgt. Die alleinerziehende Mutter entschied sich zur Flucht, lebt heute in Sulaimaniyah und setzt sich in den Sozialen Medien für ihre Themen ein. Eine Rückkehr nach Bagdad ist weder für Ali Dab Dab noch für Basma Faraj eine Option: Seit Oktober 2019 wurden mindestens 80 Aktivisten auf offener Straße oder in ihren Häusern ermordet.
Nach Jahren des Krieges und ihrer gezielten Verfolgung sind viele oppositionelle Aktivisten, kritische Medienschaffende und Journalisten aus Syrien in den Libanon oder den Irak geflohen. Auch in der Diaspora steht "Adopt a Revolution" in aktiver Solidarität an ihrer Seite. Die Schicksale von Mohammed Hamdan, Ali Dab Dab und Basma Faraj zeigen, dass die Erzählung der Aufstände von 2011 als vermeintlich kurze Episode gestärkter oppositioneller Kräfte neu geschrieben werden muss.